Ausgangslage
Die zum Eigentum der Stadt Rheinfelden gehörende Liegenschaft an der Kaiserstrasse 34/Parzelle Nr. 41 befindet sich an einer ortsbaulich prominenten Lage im Gabelungsbereich zweier Strassenachsen in Altstadtnähe. Der auf dem Grundstück stehende, dreiteilige Gebäudekomplex, der aus einem ehemaligen Siechenhaus (Kernbau), einer ehemaligen Kapelle sowie einem dazwischenliegenden Verbindungstrakt (Anbau) besteht und auch eine ebenfalls sich auf dem Grundstück befindende Baumgruppe sind kommunale Schutzobjekte und im ISOS aufgeführt. Umgebungsschutz und die Schonung des identitätsstiftenden Ortsbilds stehen im Fokus, gleichzeitig soll zukunftsfähig nach Innen verdichtet und eine neue Nutzung (25 Alterswohnungen) etabliert werden: Die Erhaltungsziele des Bestands (bewahrende Aspekte) sollen unter der Berücksichtigung von Entwicklungen (veränderte Aspekte, Verdichtung nach Innen) übersetzt und konsolidiert werden.
Freiraumkonzept
Durch die städtebaulich stringente Setzung werden sehr klar zuordenbare Aussenräume generiert: Im Südosten an der Kreuzung Kaiserstrasse / Habich-Dietschy-Strasse werden Bewohner und Besucher wie in früheren Zeiten wieder von einem plätschernden Brunnen und einer lockeren, einen kleinen Ankommensort generierenden Baumgruppe empfangen und von hier in die Anlage hineingeleitet; neu geschieht dies auch mit einem das Kaiserstrassentrottoir fortsetzenden Fussweg zwischen Kapelle und Altbau hindurch. Entlang der Habich-Dietschy-Strasse befinden sich die Besucherparkplätze.
Auf der anderen, nach Nordwesten gerichteten Seite der Gebäude befinden sich drei durchgrünte, halböffentliche Aussenräume, die eine selbstverständliche Verzahnung mit der städtebaulichen Setzung bilden. Im Zentrum der Anlage befindet sich ein kleiner, von fröhlich blühenden Wildstauden gefasster und von mehrstämmigen, malerisch breit ausladenden Judasbaumkronen überspannter Gemeinschaftsplatz. Daneben kann emsig gegärtnert und Schnittblumen für die gute Stube aufgezogen werden und schliesslich befindet sich neben der Kapelle unter der bestehenden Linde und der mächtigen Platane ein ruhiger, schattiger Rückzugs-/ Lesegarten.
Ein nachträglich aufgerauter, einschichtiger Asphalt mit Kiesoptik dient als rollstuhlgerechter, die polygonalen Formen ausbildender Wegebelag; ergänzt wird dieser von die Formgebung einprägsam unterstreichenden, lebendig-strukturreichen, blütenreichen Hochstaudenfluren.
Verkehrskonzept
Ursprünglich noch markanter Auftakt zur Innenstadt - mit Kapelle an der Weggabelung - entpuppt sich das Areal Kloos inzwischen als vergessene, introvertierte Insel inmitten neu entwickelter Stadtareale. Die fussläufige Erreichbarkeit der Grossüberbauung Salmenpark, beispielsweise ab Bahnhof ist dadurch beeinträchtigt und erreicht nicht mehr die ursprüngliche Selbstverständlichkeit der Strassenanlage der Habich-Dietschy-Strasse.
Die Erschliessung des Areals Kloss darf deshalb helfen, diese neuen Areale schlüssiger zu einem Stadtkörper zu verbinden, die fussläufigen Alltagswege kurz und attraktiv zu halten. Mit der neuen öffentlichen Durchwegung im Bereich der Kapelle und dem zusätzlichen Fussgängerstreifen an jener Stelle der alten Weggabelung werden grundlegende Teilelemente des Fusswegnetzes im Rahmen der heutigen Gegebenheiten wieder hergestellt. Aus der introvertierten Insel wird ein verbindender Park.
Eine Trottoirüberfahrt sowie ein kleiner Brunnenplatz bei der heutigen Einmündung der Habich-Dietschy-Strasse in die Kaiserstrasse machen den neuen Fussweg sichtbar und verdeutlichen den Auftakt in die Quartierstrasse. Vier gut in die Umgebung integrierte Parkplätze gleich im Anschluss an den Brunnenplatz korrespondieren mit der öffentlichen Zugänglichkeit der Alterswohnungen ab Strasse/Bushaltestelle.Dadurch kann vermieden werden, dass der Parkplatzverkehr des Areals Kloss über den Fuss- und Veloweg erfolgen muss. Eine zusätzliche Entlastung des Fuss- und Veloweges könnte erreicht werden, wenn die Zufahrt zu den oberirdischen Parkplätzen auf dem Salmenpark-Areal weiter nach Osten verschoben würde – dafür müssten die Parkplätze auf dem Salmenpark Areal geringfügig umorganisiert werden.
Im ‚Inneren‘ der Anlage verbindet ein Netz aus stufenlosen Wegen die Hauszugänge mit den umgebenden Wegen und ermöglicht den Bewohnenden einen unkomplizierten Zu- und Weggang auf alle Seiten.
Alt-Neu
Alle Gebäude sind bis heute bereits mehrfach umgebaut worden. Besonders der Zwischentrakt (Anbau) zum Kernbau zeigt einen wesentlichen Substanzverlust durch den Umbau von 1974. Der Bestand wird deshalb in denkmalpflegerisch unterschiedliche Härtegrade eingeteilt, der Entwurf sieht folgende Massnahmen vor:
1.Das ehemalige Siechenhaus (Kernbau) wird auf seinen ursprünglichen, quadratischen Fussabdruck von 1702 zurückgebaut (Abbruch der um ca. 1904 addierten nördlichen Gebäudeschicht). Dies ermöglicht die Setzung eines nahen, aber lösgelösten, orthogonal dazu stehenden, situativ polygonalen Neubaus entlang der Habich-Dietschy Strasse.
2.Der von 1974 stammende westliche Anbau (ehemalige Scheune) am Kernbau wird ebenfalls abgebrochen, inkl. UG, um (durchaus in der Tradition dieses mehrfach erneuerten Gebäudeteils) einen neuen westlichen Kernhaus-Anbau zu ermöglichen, der von der Kapelle losgelöst wird: Durch das Abknicken nach Norden wird zwischen dem Anbau und der Kapelle eine Durchwegung möglich, die das Areal durchlässiger macht.
3.Der Kernbau wird zudem um 1 Geschoss aufgestockt und mit dem neuen Anbau zu einem Volumen amalgamiert, das mittels dieser Überformungsstrategie gegenüber dem Neubau genügend Kraft/Masse entwickeln kann.
4.Die untereinander dezent abgedrehten Geometrien von Kapelle, Altbau/Anbau und Neubau stärken die Zusammengehörigkeit der Gebäude. Neubau und Kernbau/Anbau werden zudem auf der nördlichen/westlichen Seite durch einen vorgestellten Laubengang miteinander verbunden/vergossen. Von der Kaiserstrasse her treten die Baukörper inkl. Kapelle gleichzeitig weiterhin als eigenständige Bestandteile des Ensembles in Erscheinung. Von der Gartenseite her bilden die neu-alten Volumen empfangende Gesten welche die Stimmung insbesondere des Gartenraums zwischen den beiden Wohnhäusern prägt.
5.Die Kapelle wird innenräumlich leergeräumt und mit einer interpretativen Rekonstruktion wieder in ihren räumlichen Ursprungszustand zurückgeführt, siehe Abschnitt Kapelle.
Insgesamt ermöglicht diese neue Setzung eine Aufwertung und Vernetzung über die Arealgrenze hinaus; sie ist grenzübergreifend gedacht, etabliert einen halböffentlichen Aussenraum und bindet das alt-neue Ensemble selbstverständlich in seinen heterogenen Kontext ein, vgl. Abschnitt Freiraum und Verkehrskonzept. Alle vorgesehenen Massnahmen zielen zudem darauf ab, das Ensemble als Ganzes zu stärken, indem ein Gleichgewicht zwischen Alt- und Neubauten etabliert wird (Erhaltungsziel C, Erhalt des Charakters, integraler Erhalt der für den Charakter wesentlichen Elemente).
Identität und Ausdruck
Dachsilhouetten
Der wesensbestimmende, grosse Dachhut, das Walmdachs des Kernbaus wird westlich mit dem hierarchisch untergeordneten, im rechten Winkel dazu stehenden Satteldach mit einseitigem Walm des neuen Anbaus verschmolzen - ähnlich wie es der Bestand mit dem ursprünglichen Gerschilddach gezeigt hat. Der Neubau mit seiner situativ bedingten, leicht geknickten Grundform zeigt ein flach geneigtes Satteldach, das nach Süden - als Geste zum Bestand hin - ebenfalls mit einem Walm abschliesst. Das Satteldach über dem Kappellenraum und die Walme über dem Chorpolygon treten durch die Freispielung der Kapelle stärker in Erscheinung. Die Hierarchien sind damit gewahrt: Kernhaus-Walm und Kapellendach mit Kirchturm bleiben die Hauptprotagonisten der Dachlandschaft. Die neuen Dachrandabschlüsse sind so ausformuliert, dass sie durch die vor den Fassaden vorstehenden Dachrinnen eine gewisse Präsenz erhalten, dabei sowohl ‚modernisiert‘ als auch verwandt zum weiter auskragenden Dachrand der Kapelle erscheinen.
Befensterung
Die Suche nach Verwandtschaft zwischen Alt-Neu wird durch die Transformation des bestehenden Befensterungsprinzips weitergeführt: Axial angelegte Fensterpaare mit einseitigen Schiebeläden im Neubau zeigen Nähe zu den ebenfalls meist paarweise vorkommenden, leicht hochrechteckigen Fenstern mit Schlagläden und grauen Sandsteingewänden. Auf der nördlichen und westlichen Seite - zum Laubengang hin - löst sich die Befensterung von diesem Prinzip: Hier zeigen die Fenster liegendere Proportionen mit Sitzbänken und Holzrolläden.
Alterswohnen
Erschliessung + Eingangsraum
Das Treppenhaus inkl. grosser Lift sitzt an zentraler Lage der beiden Wohnhäuser im Süden des Neubaus. Diese Positionierung ermöglicht die super-ökonomische Erschliessung aller 25 Wohnungen durch ein einziges Treppenhaus. Diesem angelagert befindet sich im EG der Eingangsraum. Da dieser nicht als Fluchtweg genutzt werden muss kann er auch möbliert werden. Der kleinere Lift sitzt am westlichen Ende des neuen Anbaus. Wie eine Spange verzahnt der betonierte, den abgeknickten Fassaden folgende Laubengang die beiden Wohnhäuser. Seine Rhythmisierung ist so gewählt, dass die Stützen im Zusammenhang mit den Wohnungseinheiten stehen, diese aussen abbilden. Die feine zweite Geländerebene mit ihren teils geschosshohen Stangen überlagert und verfeinert das Betongerüst. Durch seine Überbreite und die Verbreiterung im Bereich zwischen Alt- und Neubau wird der Laubengang bespiel- und bewohnbar - das westliche Endstück kann zudem als privater Wohnungsbalkon abgetrennt werden.
Wohnungen
Alle 25 Wohnungen folgen dem Durchsteck-Prinzip, wirken dadurch grosszügig und profitieren besonnungs- als auch schallschutzmässig von diesem Layout.
Kernbau: Aus Rücksicht auf die bestehende Struktur werden im EG-2.OG kleinere Wohnungen angeordnet. Als Auftakt in die beiden Wohnungen/Geschoss dient ein gemeinsames Entrée, ihre Nasszellen/Réduits werden in die mittlere Struktur gelegt. Im 3.OG wird nur 1 grosszügige Wohnung vorgesehen, die von der Überhöhe des Walmdachs profitiert: um die Dachraumgeometrien gut nutzbar zu machen werden auf Kniestockhöhe Schränke eingebaut. Der Kernbau beherbergt insgesamt 7 Wohnungen.
Anbau: Hier entstehen die grosszügigsten Wohnungen mit von Fassade zu Fassade spannendem Wohnbereich und dreiseitiger Belichtung. Auch diese Wohnungen werden analog dem Kernbau über einen kleinen Vorraum vom Laubengang her erschlossen. Insgesamt finden im Anbau 3 Wohnungen Platz.
Neubau: Alle Wohnungen zeigen den Wohn-Essraum nach Westen zum Garten hin und das Schlafen nach Osten: Nasszellen und Réduit-Schränke schnüren die ‚Wohnungen in der Mitte ein und etablieren dadurch eine angenehme Raumsequenz. Die oberen Wohnungen profitieren zudem von den Überhöhen des Dachraums. Im Neubau befinden sich 15 Wohnungen.
Material und Konstruktion
Kapelle und Kernbau treten weiterhin als mineralische, verputzte Baukörper in Erscheinung. Anstelle des mauve-farbigen Putzes (70-er Jahre) sind sie in ihrer Tonalität neu hell gehalten, analog den historischen Fotografien. Die mächtige Eckquaderung an der Südostecke aus rotem Sandstein (Läufer - Binder Ecksetzung) wird neu auch an der Nordwestecke des Kernbaus implementiert – die Nordfassade des Kernbaus wird ja neu aufgemauert, da die ursprüngliche Fassade dort fehlt. Sehr wahrscheinlich zeigte der Ursprungskernbau eine symmetrische Eckquaderung.
Alle Neubauteile, inklusive Aufstockung Kernbau und neuer Anbau, als auch der Neubau werden als Holzelementkonstruktion errichtet und zeigen hölzerne Fassaden, die in ihrer feinräumlichen, plastischen Durchbildung durch ihre Handwerklichkeit den Zusammenhang zu den historischen Bestandesbauten finden und gleichzeitig die Hierarchien wahren.
Tragwerk
Das Areal liegt in der Erbebenzone Z2. Bezüglich Erdbebeneinwirkung ist der Projektperimeter der Baugrundklasse E zugeordnet: entsprechend werden die Horizontalllasten aus dem Antwortspektrenverfahren durch die neuen Kerne und die Aussenfassaden abgetragen. Die Kapellenfassaden werden gegenüber Horizontallasten durch eine schubsteife Deckenscheibe in Brettschichtholz auf der Traufhöhe stabilisiert.
Neubau
Der Neubau wirkt strukturell wie ein aus den geometrischen Verhältnissen geschnittener Schottenbau in einer Hybridbauweise mit einem exzentrisch situierten Kern und einem vorgelagerten Laubengang als Teilfertigbetonbau. Die hybriden Decken werden in verdübelter Brettstapelbauweise von 14cm Höhe und einem Überbeton von 12cm Stärke vor Ort gegossen. Durch den Überbeton erfolgt die Scheibenwirkung für die Lastabtragung der Horizontallasten in den Kern, die beplankten Wohnungstrennwände und die Fassaden.
Altbau und neuer Anbau
Die nördliche, nicht-originale Kernbaufassade wird zurückgebaut, sodass sich der Kernbau wieder in seiner quadratischen Geometrie und genau über den Grundmauern des bestehenden UGs zeigt. Während des Bauzustandes erfolgt eine Sicherung der 2-geschossigen Bestandesfassaden auf 3 Seiten - die Nordfassade wird 2-geschossig aus Einsteinmauerwerk rekonstruiert. Auf die beiden Mauerwerksgeschosse wird 1 Vollgeschoss und 1 Dachgeschoss (Walmdach) in Holzelementbauweise gesetzt. Die zentralen Nasszellenbereiche mit dem Foyer werden betoniert und dienen der Stabilisierung des Altbaus. Bei der Dachkonstruktion handelt es sich um ein Elementdach aus Holzbalken mit Dreischichtplatten. Der Kernbau wird im Westen mit einem neuen, abgeknickten Anbau ’verstärkt’. Das neue UG wird in Beton erstellt, darauf wird ein 3-geschossiger, hybrider Holzbau analog dem Neubau gestellt.
Laubengang
Die Tragstruktur besteht aus Beton, wobei Unterzüge und Stützen vorgefertigt werden, die Bodenplatten mit einer abtaloschierten Oberfläche aber vor Ort gegossen werden. Die vorgefertigten Auflagerkonsolen bilden mit den Stützen ein mehrgeschossiges Rahmentragwerk welches geschossweise und punktuell an der Holzverbunddecke zurückgehalten wird. Im mittleren Bereich des Laubengangs, zwischen Alt- und Neubau sind die Auflagerkonsolen mit einem Diagrid ausgebildet, um die Spannweiten zu minimieren und die Betonplatte möglichst schlank zu halten.
Kapelle
Die Kapelle erfährt nur minimale strukturelle Instandsetzungen. Einerseits werden die bestehenden Fensteröffnungen zurückgebaut und durch die ursprünglichen Öffnungen ersetzt. Im Dachboden wird auf der Traufhöhe durch neue, 36mm starke und mit den Holzbalken verschraubte Brettschichtholzelemente eine Scheibenwirkung einer Tischplatte ähnlich geschaffen. Die Deckenscheiben werden mit dem Randbalken zwecks horizontaler Halterung der Fassadenwände verschraubt.
Alterswohnen Kloos Rheinfelden
Wettbewerb 2.Preis
Rheinfelden 2023
ArchitektInnen:
Aita Flury Architektur GmbH
IngenieurInnen:
Schnetzer Puskas AG
LandschaftsarchitektInnen:
Johannes von Pechmann Stadtlandschaft GmbH
VerkehrsplanerInnen:
Stadt Raum Verkehr Birchler + Wicki
Historisches Foto Ensemble Kloos
Rheinfelden ca. 1970