Logo
01TaminaModellSituationaussen
02TaminaModellaussen
03TaminaModellaussenoben
04TaminaModellAussenfrontal
05TaminaModellInnenKeller
06TaminaModellTreppeInnen
07TaminaModellBaderaum
01Tamina1.OG
02TaminaSchnitt
03TaminaStatik
04SkizzeJrg

Neues Badehaus für das Hotel Tamina in Bad Ragaz

Das Fallbeispiel zeigt den Dialog zwischen Architekt und Ingenieur als das Zusammenkommen der zwei Disziplinen in Form eines gegenseitigen Annährungsprozesses. Der Ansatz geht davon aus, dass die Dominanz der einen über die andere Disziplin meistens einem Bauwerk als Ganzes abträglich ist. Ziel soll vielmehr eine maximale Übereinstimmung programmatischer, funktionaler Ansprüche, statischer und technischer Bedingungen und Möglichkeiten mit den räumlichen Absichten, der Raumstimmung, sein. Für die Darstellung einer derartigen Findung scheint aufgrund der Überschaubarkeit ein kleines Objekt wie das neue Badehaus für das Hotel Tamina in Bad Ragaz geeignet.

 

Wahrnehmungsstatik

Als Prämisse sei vorausgeschickt, dass dargestellte optische Solidität und Stabilität nicht zwingend mit rechnerischer Solidität und Stabilität übereinstimmen müssen. Beispielsweise ist der schlankste mögliche Querschnitt einer Stütze nicht immer die räumlich optimale Setzung. Kraftübertragungen von Stützen auf Platten werden heute in den Deckenkonstruktionen oft mit aufwändigen Armierungen kaschiert. Bei zu dünnen Stützenproportionen kann aber der optische Eindruck eines Durchstanzproblems entstehen. So sind die Säulenreihen griechischer Tempel nicht das Resultat rein statischer Überlegungen zur Lastabtragung. Vielmehr sind sie als Synthese einer Auslotung zwischen Statik, Proportionen und räumlicher Wirkung insgesamt zu sehen. An solchen Bauwerken scheint ein „Dialog der Konstrukteure“ auf höchstem Niveau auf und sie eröffnen, dass nur das gegenseitige Abwägen zwischen effektiver (rechnerischer) Statik und Raum zu einem überzeugenden Gesamten führen.

 

Raum(stimmungs)bericht

Beim Entwurf für das neue Badehaus und Hamam Tamina in Bad Ragaz stand zunächst nicht ein konkretes statisches Konzept im Vordergrund. Startpunkt war vielmehr eine räumliche Idee, die eine bestimmte Atmosphäre der Badelandschaft verfolgte. Bei den im Raum stehenden Vor-Bildern und Referenzsystemen handelte es sich allesamt um archaische oder mindestens historische Konstruktionen, viele davon vernakuläre Architekturen, gebaut ohne Architekt und ohne Ingenieur (vgl. Bernhard Rudofsky, Architecture without architects). Schnell schien klar zu sein, dass es sich um einen einfachen Massivbau mit partiellen Kuppelgewölben handeln sollte. Im Verlauf des Entwurfsprozesses verdichteten sich aber die räumlich-architektonischen Vorstellungen und wurden zunehmend anspruchsvoller, was vor allem im Bereich der Dach- und Kuppelkonstruktion zu statischen Herausforderungen führte.

 

Die gesetzlichen Bestimmungen waren als Ausgangslage für den Entwurf insofern spannend, als dass die Mantellinie des oberirdischen Volumens unausweichlich definiert war und deshalb ein erheblicher Anteil der Badewelt im Untergeschoss realisiert werden musste. Als Entwurfsidee schälte sich daraus eine Abfolge von Raumsequenzen heraus, die nach oben hin zunehmend grosszügiger und heller werden. Der Badende wird durch die unterirdische Hamam-Landschaft bis hin zum „Badesaal“ im 1.Obergeschoss durch und an das Licht geführt werden. Einmal dorthin aufgestiegen, bildet das eigentliche Thermenbad als durch Form, Höhe und Belichtungsqualität erhabener Raum den Höhepunkt der Anlage. Seine dreiseitige Fassung mit massiven Mauern garantiert genügend grosse Intimität und Ruhe, dass er auf der vierten Längsseite komplett geöffnet werden kann. Diese Verglasung ermöglicht „das Schwimmen in den Baumkronen“ und soll absenkbar sein, sodass dieses Raumgefühl in den Sommermonaten als Loggiabad noch überhöht wird. Um dem dynamischen Sog und der Gegenlichtsituation der grossen Verglasung entgegenzuwirken, muss der Raum aber gleichzeitig „im Schnitt“ gehalten werden: Ziel war eine sternartige Kuppelkonstruktion, die eine diaphane Lichtstimmung produzieren und den Raum entschleunigen würde.

 

Diese beschriebenen Ansprüche an den obersten Raum generierten eine neue statische Herausforderung. Der Baukörper als Massivbau wurde in seiner Grundstruktur nicht in Frage gestellt, die Vorstellung einer sternförmigen Doppelkuppel in Kombinationen mit der offenen, versenkbaren Fensterkonstruktion war aber statisch gesehen ohne aufwändige Unterzugskonstruktionen kaum lösbar. Dazu kamen Belüftungsanforderungen und Kondenswasserprobleme der Dachverglasung, nicht zuletzt auch der Kostendruck.

 

 

Strukturkonzept

Die lapidare als auch „congeniale“ statische Idee zu dieser Problemstellung war die Entwicklung zweier diagonal angeordneter Kreuzunterzüge. Das Bestechende liegt darin, dass die Unterzugkonstruktionen im Bereich der Fenster als Kragarme funktionieren, die in der Mittelachse auf den von Wand zu Wand gespannten Diagonalrippen aufliegen. Dieses Diagrid-System leistet ein stützenfreies Überspannen des Fensterbereichs, was der räumlichen Absicht nach heftiger Öffnung sehr entspricht. Die kreuzartig angeordneten Unterzüge ermöglichen zudem in effizienter Weise die Reduktion der Spannweiten der Glasbausteinelemente. In die Rippenhohlräume sind die grossen Lüftungskanäle integriert, was eine Erhöhung des Umfangs der Rippenunterzüge zur Folge hat. Die Diagonalen treten dadurch massiver in Erscheinung und entsprechen somit wiederum den räumlichen Absichten: Die statisch überdimensionierten Stern-Figuren tarieren den Raum aus und setzen in der Geste des „Hier und dort“ Orte (vgl. Wolfgang Meisenheimer, Das Denken des Leibes und der Architektonische Raum). Es sind genau diese zentrierenden, ruhenden Momente, die auch den angeführten Kuppeln der anonymen Architekturen eigen sind. Trotz „moderner“, konstruktiver Verflachung der Decke kann so das gestische, abstrakte Bild der Referenzen transponiert werden, ohne in einer überkommenen Analogie verhaftet zu sein.

 

Statikbericht

Der folgende Bericht des Ingenieurs hält nüchtern fest, was aus statischer Sicht nach einem intensiven Dialog erarbeitet worden ist:

 

Das Tragwerk des unterirdischen Verbindungsbaus und des neuen Badehauses besteht aus Wänden und Decken in Stahlbeton. Als Fundation dient eine Bodenplatte. Die Aufnahme der vertikalen und horizontalen Einwirkungen (Erdbeben) bietet dank der kleinen Spannweiten und der in genügender Anzahl vorhandenen Wandscheiben keine besonderen Probleme. Die Dachplatte weist bei den Fensteröffnungen grössere Spannweiten auf, da hier keine Stützen möglich sind. Hier werden die Glasbaustein-Betonelemente durch diagonal verlaufende Rippen verstärkt. Die Träger b-b und c-c sind einfache Balken und liegen jeweils an ihren beiden Enden auf tragenden Wänden. Die Träger a-a und d-d balancieren auf den anderen beiden Trägern. Sie liegen in den Punkten B und C auf und kragen gegen den Punkt A aus. Deshalb braucht der Punkt A nicht unterstützt zu werden. Die Wandauflager der Träger a-a und d-d erhalten lediglich geringe aufwärts oder abwärts gerichtete Kräfte, wenn diese Träger asymmetrisch belastet sind. Diese Rippen können gleichzeitig die Lüftungsinstallationen aufnehmen, indem die Kanäle einfach einbetoniert werden; die Wände der Rippen werden nur durch punktuelle Auslässe durchstossen. Die diagonalen Rippen ermöglichen eine Materialersparnis, weil die Stärke der darüber liegenden Glasbaustein-Betonelemente gering gehalten werden kann.“

 

Epilog

Dieses Beispiel zeigt, dass der „Dialog der Konstrukteure“, ohne in einer vorgefassten Strategie zu verharren, auch bei kleineren Aufgaben Lösungen bringen kann, die sowohl statisch wie auch räumlich ertragsreich sind. Der pragmatische Statikbericht zum Schluss lässt fast vergessen, was für ein anspruchsvoller Findungsprozess, welches Geben und Nehmen, gemeinsam durchgangen werden muss. Darin schimmert auch die Unterschiedlichkeit der Interessenslagen durch, ohne vergessen zu lassen, dass die Fruchtbarkeit dieses Dialogs von einem gewissen Mass an Grundkonsens abhängt. Der „Dialog der Konstrukteure“ ist ein gemeinsamer Effort, der heute nicht selbstverständlich ist, den zu missen aber unvorstellbar wäre.

 

 

Badehaus für das Hotel Tamina

Projekt

Bad Ragaz 2009

 

Architekten:

Aita Flury, Roger Boltshauser

 

Ingenieure:

Conzett Bronzini Gartmann AG

 

Publikation:

Kooperation. Zur Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt 2011


01TaminaReferenzen

Sternenkuppel: Anonyme Architektur im Iran