Städtebau
Belastbare Konzepte und Bauweisen verlangen nach einfachen Baukörpern. Ganz in diesem Sinne wird das Programm, die Baumasse auf 2 Volumen aufgeteilt: Ein 3-geschossiges Wohnhaus erstreckt sich parallel zur Sihl auf der ganzen (bebaubaren) Parzellenlänge und steht somit in - für die Wohnutzung - angemessenem Abstand zur Strasse/Bahn. Parallel zur und entlang der Sihlstrasse wird ein 2-geschossiges „Publihaus“ gesetzt: Hier sind alle öffentlichen/gemeinsamen Nutzungen sowie die administrativen Bereiche untergebracht. Das Publihaus ist im Verhältnis zum Wohnhaus schlanker, kürzer und weniger hoch, steht zum Wohnhaus in proportionaler Beziehung und wirkt als Filterschicht zur Sihlstrasse hin. Die beiden langen/länglichen und durch die Parzellengeometrie zueinander verdrehten Baukörper spannen einen angenehmen Hofraum auf, der zum Dreh- und Angelpunkt der Anlage wird. Den räumlichen Abschluss im Nordwesten bildet dabei der Quertrakt der angrenzenden Rudolf Steiner Schule, im Südwesten ist es der mit Hecken gefasste Grünraum des „interkulturellen Gartens“. Auf selbstverständliche Weise wird durch diese Setzung auch der Hauptzugang zur Anlage im Südwesten ersichtlich: Die Leerstelle zwischen Publihaus und Gartenanlage leitet in den Hofraum ein. Die sehr simple Setzung generiert starke Freiräume und ist funktional adäquat.
Wohnhaus/Publihaus
Beide Gebäude, Wohn- und Publihaus, sind modular gedachte Häuser, die eine hohe Nutzungs- und Belegungsflexibilität aufweisen: Die Gebäude basieren auf einem einheitlichen Achsmass von 3.18m, das sich situativ/konstruktiv als ideales Grundmass herauskristallisiert hat: Es garantiert die Bildung konstruktiv sinnvoller Grössen als auch die ideale Proportionierung aller geforderter Räume. Das Tragwerksprinzip (vgl. unten) garantiert zudem Flexibilität auch im Hinblick auf evt. spätere, andere Nutzungen.
Wohnhaus
Im Wettbewerbsprogramm wird ein gesellschaftlich vorbildliches Projekt gefordert. Der Entwurf antwortet darauf mit einem kompakten Wohnhaus, das innen als pragmatische, zweibündige Anlage organisiert ist, sich aber im Gegenzug dazu eine raumhaltige Fassadenschicht „leistet“: Nicht erst zu Corona Zeiten ist die Möglichkeit des „Austritts“ aus dem Innern ins Freie eines der Hauptkriterien für Wohnqualität. Da gemäss Programm keine privaten Aussenräume gefordert sind, wird die vorgesetzte Verandaschicht auf ein Minimum reduziert (90cm Breite - bei den 15m2-2er-Standardzimmern bedeutet dies rund 1.35m2 privater Aussenraum/Person): dies reicht um einen Stuhl, eine Pflanze zu platzieren oder zum Auslüften eines Kleidungsstücks. Die vorgestellte Konstruktion bietet zudem die Möglichkeit einer Kletterpflanzenbegrünung. Vor allem aber ist die Veranda auch eine Filterschicht, die es erst möglich macht „Wohnen“ auch im Erdgeschoss anzubieten. Zusammen mit den raumhohen Fenstern und Schiebeläden entsteht mit wenig Aufwand ein räumlich-atmosphärischer Mehrwert, der den minimalen Spielraum der Bewohnerzimmer maximal ausreizt.
Das Wohnhaus zeigt insgesamt 6 Cluster (je 2 pro Geschoss), die jeweils aus einer Zimmerserie sowie 1 Küche und 1 Aufenthaltsraum bestehen. Zimmer und Aufenthaltsräume sind in Bezug auf die Himmelsrichtungen so austariert, dass die baugesetzliche Vorgabe berücksichtigt wird, dass sowohl max. 50% der Bewohnerzimmer als auch max. 50% der Aufenthaltsräume nach Nordost/Nordwest ausgerichtet sein dürfen. Dies führt auch zu einer leichten räumlichen Varianz der Geschosse in Bezug auf die Ausblicke. Die beiden eher lateral angeordneten Fluchttreppenhäuser garantieren zudem eine gebäudeinterne Durchlässigkeit zwischen Hof- und Flussraum.
Publihaus
Die administrativen Nutzungen sind an zentraler Lage im EG des Publihauses angeordnet, zwecks guter Überblickbarkeit von Anlage und Zugang. Die allgemeinen Nutzungen (Waschen/Trocknen) sowie die Tagesstruktur (Schulung/Fitness/Hort) sind im 1.OG des Publihauses angeordnet, wodurch sie weniger exponiert sind: Zur Steigerung von Privatsphäre und Konzentration ist ihnen ein gewisses Mass an Intimität zugesprochen, zumal der private Raum/Person bereits minimal ist und der Aufenthalt im Zentrum nicht freiwillig ist. Da sich die Räume in der oberen Etage des 2-geschossigen Volumens befinden profitieren sie zudem von Aussicht und einer grösseren Raumhöhe.
Aussenraum
Das Projekt zielt auf pflegeextensive Freiräume ab, wo diversifizierte Orte unterschiedlichen Bedürfnissen und Belastungen gerecht werden und ein adäquates Mass an Mitgestaltung durch die Bewohner möglich ist.
Hof
Die Atmosphäre des grosszügigen und vielfach nutzbaren Hofraums ist geprägt von seinem versickerungsfähigen, erdigen Naturbelag (Terraton) und der mächtigen Winterlinde mit ihrer kreisrunden Sitzbank - ein archaischer, gefasster Ort des Ankommens, des Sich Treffens und Sich Aufhaltens.
Wohnwelt/Flussraum
Die Privatisierung der Wohnnutzungen (Bewohnerzimmer) im EG erfolgt über ein gebäudeumgreifendes Staudenband aus einheimischen Wildstauden und blühenden Kleingehölzen: dieses schafft Privatheit, sichert Artenvielfalt und über das ganze Jahr verteilte Pflanzaspekte. Auf dem mittleren Abschnitt der südlichen Hofseite (Aufenthaltsräume) werden Wildkräuter und einheimische Kletterpflanzen gepflanzt, die an der Verandakonstruktion hochklettern können und einen duftenden Grünfilter samt Sonnenschutz bilden.
Der sihlseitige Bereich des Wohnhauses wird als natürliche, vom Flussraum inspirierte Gartenlandschaft gestaltet: Einheimische und standortgerechte Pioniergehölze bilden darin Orte der Geborgenheit aber auch der Aktivität: Die lateral angeordneten, einzelnen Gehölzgruppen bieten informelle Möglichkeiten um Slacklines, Hängematten etc. aufzuspannen, die mittlere Wiesenfläche wird freigelassen, um z.B. Fussball- oder Federballspiel zu ermöglichen.
Interkultureller Garten - soziale Mitte
Der südwestliche, optimal besonnte Aussenraum wird als interkultureller Garten zur sozialen Mitte der Anlage: hier wird gegärtnert, gegrillt, gegessen und gespielt. Der interkulturelle Garten ist von einer Wildhecke aus Johannisbeeren, Kornelkirschen, Haseln und Felsenbirnen gefasst und zeigt so trotz Strassennähe adäquate Privatheit. In die Wildhecke wird zudem der überdachte Rückzugsort der Frauen integriert, der zusätzlich über einen Nussbaum optisch geschützt wird. Einzelne Obstgehölze wie Khaki, Apfel und Birne sind locker über den gesamten Gartenbereich verteilt und aktivieren gemeinsame Tätigkeiten wie ernten und verarbeiten.
Lärm
Der Immissionsgrenzwert der Empflindlichkeitsstufe ES II ist bei freier Schallausbreitung ab rund 20m ab Strassenachse eingehalten. Das Wohnhaus wird u.a. bewusst deshalb so platziert, dass das Volumen von der Strasse leicht abgedreht ist und die ganze Fassade den nötigen Strassenabstand einhält.
Fassaden und Ausdruck
Die volumetrische Einfachheit der Baukörper wird mit wenigen, effizienten Gestalt-Themen überlagert: Die geschossweise Montage der vorgefertigten Fassadenelemente (jeweils 2 - 3 Achsen lange Elemente) wird beim Wohnhaus durch die vorgestellte Verandakonstruktion optisch weggespiegelt. lisenenartige, gebäudehohe Deckleisten nehmen beim Publihaus das Thema auf und verleihen diesem ebenfalls eine feine Plastizität. Änderungen der Schalungsrichtungen, Schiebeladenelemente (Wohnhaus) und eine erdig-frische Farbigkeit unterstützen die ausgewogene Gebäudegliederung. Insgesamt wird die modular gedachte Konstruktion mit konstruktiv einfachen Mitteln „nobilitiert“ - der provisorische Charakter mit geringem Aufwand in eine wohnliche Atmosphäre „getuned“.
Konstruktion und Kosten
Vorprojekt und Bauprojekt können auf der Basis des vorliegenden Entwurfs hocheffizient (parallel) erarbeitet werden. Es werden sämtliche Baugesetze eingehalten, alle normativen Rahmenbedingungen sind mit dem vorliegenden Projektvorschlag einfach erfüllbar. Wechselwirkungen zwischen Gestaltung/Konstruktion/Haustechnik/Brandschutz und Bauablauf (vgl. Blatt 4) sind bereits weit in die Entwurfsüberlegungen eingeflossen. Das modulare System erlaubt eine weitgehende Vorfertigung, was eine rasche Montage ermöglicht und wirtschaftliche Baukosten verspricht. Ausschlaggebend für die Realisierung einer solchen Anlage in einer derart kurzen Planungs- und Bauzeit bleibt aber ein effizient-dynamischer Kommunikationsprozess mit dem Auftraggeber - damit steht und fällt die Projektabwicklungsdauer.
Tragwerk
Die zwei reinen Holzbauten stehen auf frostsicher fundierten Bodenplatten und zeigen minimale Unterkellerungen. Tragend sind jeweils die beiden Längsfassaden und die Wände der mittleren Achsen beidseits des Korridors (Wohnhaus), bzw. ein mittiger Unterzug auf Stützen (Publihaus). Zur Aussteifung in beiden Richtungen dienen Wandscheiben. Das Tragwerk bietet eine grosse Flexibilität in Bezug auf die Raumschichten längs der Fassaden, indem die Lage der querlaufenden Wandscheiben flexibel ist. Zur Aussteifung ist nur eine begrenzte Anzahl Wandscheiben nötig - bei einer Veränderung der Raumeinteilung kann deren Lage von Fall zu Fall neu bestimmt werden.
Die Decken bestehen aus Brettstapelelementen, das Dachtragwerk aus Hohlkästen. Decken- resp. Dachelemente sind jeweils untereinander mit Dübeln schubfest verbunden, sodass sie gegen horizontale Einwirkungen als Scheiben wirken. Die äusseren Veranden sind von der übrigen Konstruktion unabhängig, lediglich über stabilisierende Dorne mit dem inneren Tragwerk verbunden. Spätere Auswechslungen am äusseren Tragwerk (kürzere Lebensdauer) sind einfach möglich.
Asylzentrum Adliswil
Wettbewerb 2020
Architektin:
Aita Flury
Ingenieure:
Conzett Bronzini Partner AG
Landschaftsarchitekt:
Bernhard Zingler Landscape Projects
Centre d’hébergement collectif de Rigot Genève
Acau architects 2019