Ausgangslage
Auf dem Wettbewerbsperimeter für die Fernwärmezentrale Waldau treffen verschiedene landschaftsräumliche und gebaute Strukturen und Geometrien aufeinander: Im Norden/Westen des Perimeters erstreckt sich ein offenräumliches, leicht erhöhtes Schrebergartenfeld mit den ihm eigenen Weggeometrien. Das Gartenfeld ist im Süden/Westen durch linienförmige Baumkörper eingefasst, im Osten wird es durch den mächtigen Baumbestand des Waldauparks räumlich abgeschlossen. Beim Park handelt es sich um eine kleine, schön bewaldete Grünanlage mit Kinderspielplatz, die bereits heute von den Quartierbewohnern als Treffpunkt genutzt wird. Sie ist geprägt von einem hochstämmigen Baumbestand, der sich vor allem den Rändern entlang, um eine mittige Lichtung herum, entwickelt. Die Atmosphäre des Parks ist nicht manieriert und wirkt – nomen est omen - wie ein Wäldchen, in dessen archaische Atmosphäre nur reduziert eingegriffen wurde. Im Osten strebt die orthogonale Bebauung des Waldauquartiers, die aus einer Mischung aus Punkt- und Zeilensetzungen besteht und in ihrer Geometrie der übergeordneten Zürcherstrasse folgt, Richtung Park. Das Gebiet des Waldauparks und in seiner südlichen Verlängerung das Gebiet der neuen FWZ ist wie ein Scharnier zwischen erhöhtem Gartenfeld und Wohnbebauung und hat dementsprechend eine vermittelnde Funktion.
Situation
1. Auf dieser Folie ist deshalb die Neugestaltung des Perimeters für die FWZ tatsächlich die Chance die Grünanlage nach Süden auszuweiten und ihren Charakter als Quartierpark zu steigern. Die neuen Setzungen sollen dementsprechend möglichst selbstverständlich, nicht dominant und nicht aufgeregt, in das Gesamtkonzept Wäldchen-Park integriert werden: Die geforderten Funktionen werden dazu in drei Baukörper – FWZ, Salzlager, Quartierraum – aufgeteilt, um eine zu grosse Massierung von Baumasse an einem Ort zu vermeiden, die zu einer Zersprengung des Parks führen würde. Die Ausrichtung der drei Baukörper orientiert sich an den Geometrien der Bebauungsstruktur des Waldauquartiers; die leicht zueinander verrückten Volumina wirken wie Ausläufer, lockere Erweiterungen der bestehenden Wohnbaustruktur und verzahnen diese mit dem Grünraum. Die Ordnung der Gebäude untereinander und zu ihrem Kontext ist einzig durch ein feines Gleichgewicht von Wechselbeziehungen definiert. FWZ und Salzlager stehen einander vis à vis - der dazwischen aufgespannte Raum ermöglicht die erforderlichen Zulieferungen und wird als zweite „Lichtung“ interpretiert. Der Quartierraum steht orthogonal zur FWZ und öffnet sich zum Park in Längsrichtung.
2. Alle Bauten sind in den dichten Baumbestand eingewoben, das parkspezifische und räumlich prägende Element, das im Süden mit heimischen Laubbäumen ergänzt wird. Die Bäume überlagern den ganzen Park, fassen ihn zu einer von weitem erkennbaren Einheit, im Inneren werden zwei Lichtungen frei für unterschiedliche Nutzungen (Spiel- und Liegewiese im Norden, zum neuen Wegnetz gehörender, sickerfähiger Hartplatz für Anlässe und Ballspiele im Süden).
3. Den zwei Layern von Bebauung und Bäumen wird eine dritte Ebene überlagert, das Wegnetz. Die Wegführung ist vorerst vom Bestand imprägniert: eine leicht geschwungene Wegführung, die den Park diagonal durchzieht und ihn vereinzelt an die Quartierstrassen anbindet. Diese Typologie wird aufgenommen, die Wege werden neu aber pluralisiert und als Wegnetz mit grosser Maschenweite bis in die südliche Spitze über den ganzen Park gezogen. Die Setzung der Bauten achtet auf eine möglichst sanfte Geländegestaltung und zielt auf eine ‘natürliche’ Topografie ab, welche den Baumbestand schont und selbstverständlich einbettet. Das Wegnetz selber wird im Verhältnis zur bestehenden Topografie sanft moduliert: Weg- und Geländeniveau stimmen nicht zwingend überein, die Wege sind entweder furchenartig leicht ins Gelände eingeschnitten oder werfen sich auf: die erdige Materialisierung der Wege und des Platzes als Trasstonböden wird zu einem identitätsstiftenden Element des neuen Parks und steht in direktem Zusammenhang mit der Materialisierung der Baukörper. Das fein überhöhte Naturrelief und die naturähnlichen Oberflächen des Wegnetzes sind auf die plastisch-haptischen Trasston-Fassadenelemente der Baukörper abgestimmt.
Grammatik der Gebäude
Industriearchitekturen zeichnen sich seit ihrer Entstehung im 19. Jh. durch eine eigene Art von Schönheit aus: Ob Gebäudetypen, die der Produktion oder Lagerung von Gütern dienen oder ob Anlagebauten, die der Gewinnung, der Förderung oder dem Abbau von Rohstoffen nützen - ihnen eignet der Charme des Zweckrationalen technischer Bauten an, dessen suggestive Bildsprache erst gerade Ende des 20. Jh. einmal mehr als Qualität wiederentdeckt wurde (vgl.Loft-Boom in Industriebrachen). Die uns interessierenden Gebäude wirken zeitenthoben, ihnen eignet etwas Serielles und auch Ingeniöses an, sie zeigen konstruktive Konstanten mit formalen, regionalen Abweichungen, stehen aber auch für eine Tradition der kontinuierlichen Weiterentwicklung. Auf der Rumination dieses Vergangenheitsmaterials baut unsere neue und interpretierende Grammatik für die Typologie der Fernwärmezentralen auf.
Baukörper
Es handelt sich um eine Gruppe, eine Familie, die aus drei Gebäuden besteht, deren verwandtschaftliche Beziehungen durch Kombination und Variation einer Reihe uns zur Verfügung stehender Module, Bausteine hergestellt werden und so optimal auf die unterschiedlichen Nutzungen einjustierbar sind. Ausgangspunkt bildet die FWZ als grösster Baukörper, der Quartierraum als kleinstes Gebäude weist die grössten formalen Abweichungen auf.
Die Gebäude bauen auf einfachen geometrischen Grundformen auf. Diese wirken durch ihre präzise Positionierung im Park und ihrer jeweils spezifischer Reaktion und Gerichtetheit. Die Grundrisse variieren von fast quadratisch bis längsrechteckig und bauen auf quadratischen Grundrastern auf. Die Schnitte zeigen einfache Kuben, gestaffelte Baukörper oder wo notwendig auch auskragende Dächer - ihre leicht variierten Formen deuten die jeweils unterschiedlichen Funktionen an.
Material
Wichtig für die Dialektik von Identität und Abweichung der drei Gebäude ist vor allem ihre strukturelle und in der Konsequenz materielle Deklination.
1. Die Primärstruktur der FWZ muss stabile, hochgestreckte Wände und grosse Spannweiten leisten können und wird in der Folge als rohes Betonskelett aus Recyclingbeton ausgeführt: An rechteckigen Betonstützen hängt ein Betonkassettenrost, auf dem die Dachplatte aus Beton aufliegt. Dieses Gerüst versprüht den Atem nüchterner Industriearchitektur, wird nun aber mit materiell hoch sinnlichen Füllelementen kontrastiert.
2. Grossflächig eingesetzte Glasbausteinelemente, die auch als Tore ausgeführt werden können, und ihre präzise Setzung im Schnitt sorgen für eine angenehme, diaphane Lichtstimmung im Innern der Halle. Aussen widerspiegeln sich in diesen tagsüber das Grün des Parks, nachts werden sie zu Leuchtflächen, die schattenhaft die Umrisse der Anlageteile in der Tiefe des Raumes preisgeben.
3. Der materiale, sinnliche Charakter der Gebäude wird vor allem auch durch vorfabrizierte Trasskalkelemente hergestellt. Trasskalk wurde als Material bereits von den Römern verwendet. Die Elemente werden heute gleich wie Betonelemente hergestellt und auch auf die gleiche Weise versetzt. Da Trassmehl als Bindemittel keine thermische Herstellenergie benötigt, macht sich die Verwendung auch in der Berechnung des Primärenergiebedarfs positiv bemerkbar. Nebst diesem ökologischen Vorteil einer tieferen Herstellungsenergie erzeugt das lebendige und haptische Äussere der Elemente eine sinnliche und Halt - erzeugende Atmosphäre – sie strahlen nicht nur symbolisch die Wärme der Erde selbst aus.
4. Die Fügungsprinzipien zwischen Primärstruktur und Füllelementen, aber auch innerhalb der vorfabrizierten Elemente selbst basieren auf der Idee einer feinen Plastizität der Gebäudehülle, die durch das Licht-Schattenspiel belebt wird. So werden die Betonstützen der FWZ nach oben hin optisch von ihren Füllelementen abgelöst, was dem Gebäude einen vertikalen Zug verleiht. Horizontale und vertikale Elemente verweben sich derart ineinander, dass die Hülle rotierende Momente zeigt und eine Mehrfachlesbarkeit etabliert wird, die stets anders ist als das direkte Abbild des dahinterliegenden Tragwerks.
Räumliche Disposition - Organisation
Die räumliche Disposition der FWZ basiert auf einer klaren Differenzierung des Raumprogramms in Neben- und Haupträume. In der Einraumtypologie der hohen Werkhalle befinden sich alle technischen Anlagen. Die grössten Anlageteile wie SLK, BHKW und Pumpen können bei Bedarf über die grossen Glasbausteintore nach Westen hin ausgebaut werden, das Expansionsgefäss und der Speicher können über Deckenöffnungen ausgewechselt werden.
Um die Situation der FWZ im Park zu optimieren wurde die Fläche für den Hauptraum im Vergleich zum Raumprogramm so nach unten korrigiert, dass die Funktionalität immer noch gewährleistet ist, das Gebäude durch seine kleinere Grundfläche aber optimaler in den Park eingefügt werden kann. Sollte die Fläche zu knapp bemessen sein könnte diese auch wieder - zuungunsten der Situation – leicht nach oben korrigiert werden. Auf jeden Fall leistet die gewählte Anordnung die Minimierung der Hartfläche und gleichzeitig eine optimale Beziehung zwischen Vorfahrt, Ausbaumöglichkeiten der Anlageteile sowie Anlieferung der FWZ und des Salzlagers.
Die dienenden Räume der FWZ sind rucksackartig mit der ihnen entsprechenden Raumhöhe an der Längsseite der Halle angedockt. Das Oellager befindet sich im 1. UG und wird über ein Treppenhaus erschlossen.
Das Salzlager folgt der konstruktiven Logik der FWZ – in die mit einem kräftigen Rolltor gesicherte Halle kann von Nordosten her direkt mit dem Lastwagen eingefahren werden.
Der Quartierraum erfährt als Einzelbaukörper eine Aufwertung und ist nicht nur Abstell- und Einstellraum, sondern kann auch als Festraum, Kiosk etc. genutzt werden. Das besondere feature bildet dabei ein aussen liegender Fire-Place, der in eine dicke Trasstonmauer eingelassen ist. Konstruktiv hat sich die Kleinbaute vom Skelett losgesagt – auf zwei Trasstonscheiben lastet eine Betonplatte.
Corporate Identity
Die Überlegungen zur Corporate Identity der neuen FWZs sind notwendigerweise typologisch. Der Begriff der Typologie seinerseits regt Gedanken über Verhältnisse von Ähnlichkeit oder Unterschiede an, über Variantenreichtum ohne Verlust der Typologie. Jeder weitere Standort für die FWZs beinhaltet das allgemeine Problem (Programm FWZ), also die gleiche Funktion mit allenfalls variierenden Anlageteilen und Grössen. Dieses wird wie vorgängig ausführlich beschrieben - hier zusammenfassend - über folgende Komponenten hergestellt:
A. Allgemeine Gestaltungselemente zur Übertragung auf weitere FWZ
1. Elementar-strukturelle Stufe: Die Fähigkeiten der Kraftübertragung werden über ein Traggerüst aus Ortsbeton (Stützen und Kassettendecke) gelöst.
2. Verhältnis von Skelett und Hülle: Die gezeigte Ecklösung der Primärkonstruktion - auf eine tragende Stütze in den Ecken wird verzichtet (vgl. Tragwerksbericht) - ermöglicht plurale Ausrichtungsmöglichkeiten, allseitige Erweiterbarkeit des Gebäudes. Hülle und Tragwerk werden stets aufgrund der Wahrnehmungsabsicht einander überlagert. Die gewählte Juxtaposition macht das Haus flexibel und mehrfach lesbar (keine direkte Abbildung des Tragwerks nach aussen).
3. Die FWZs bauen auf (fast) quadratischen Grundrastern auf und bestehen deshalb aus modularen Bausteinen: auch die Funktionsschichten können damit vielfältig und in verschiedenen Ausführungen angehängt werden, was für alle Situationen ein sinnfälliges In-Beziehung-Setzen von Topografie und Gebäude möglich macht.
4. Glasbausteinelemente (Tore oder fixe Elemente), die damit einhergehende innere diaphane Raumstimmung und das nach Aussen Leuchtende sind wiederkehrende Elemente. Dazu kommen Schlitzöffnungen, die als klarsichtige Lamellenfenster ausgebildet die Zu-, bzw. Abluft garantieren, aber auch die Füllungen optisch von den Stützen ablösen.
5. Kamine
Die gestaltprägenden Kamine (ohne welche wohl keine FWZ auskommt!) sind durch ihre einfache, materielle Grundgestalt geprägt, die situativ variiert werden kann.
B. Spezifische Gestaltungselemente zur Übertragung auf weitere FWZs
Jeder weitere Standort für die FWZs beinhaltet nebst dem allgemeinen Problem (Programm FWZ) ein jeweils spezifisches Problem (Kontext). Auf das spezifische Problem der Atmosphäre des Kontexts wird mittels einer Transponierung, einer Übersetzung auf eine neue materielle Tonleiter (Stoffwechsel) eingegangen: Die geschlossenen Füllelemente werden in ihrer Materialität auf den jeweiligen Kontext angepasst.
1. Park / Landschaftsraum
Material: Trasskalkelemente
Eigenschaften: Erdverbunden, haptisch, porös, grob, warm
2. Industrie
Material: Betonelemente
Eigenschaften: kalt, abstrakt, hart, industriell
3. Urban
Material: Pretonelemente (Backstein)
Eigenschaften: Handwerklich, massstäblich, edel
Konstruktion
Tragwerk
Das Gebäude der Fernwärmezentrale ist ca. 24m lang und ca. 18m breit, bei einer Höhe von ca. 13 m. Es besteht aus einer skelettartigen Stahlbetonstruktur, die die Fassade und das Dach trägt. Das Dach ist als Betondach aus Ortbeton oder Fertigteilen vorgesehen. Die Fassade besteht aus Glasbausteinen und zum Teil aus vorfabrizierten Trasskalk-Elementen. Sie werden zwischen den Stahlbetonträgern befestigt.
Die Tragstruktur der Fernwärmezentrale besteht aus zweiachsig gespannten Rahmen, die für den Hauptlastabtrag sorgen. Es gibt drei Rahmen, die in Querrichtung des Gebäudes verlaufen und ca. 18m lang sind, sowie zwei Rahmen in Längsrichtung mit einer Länge von 24m. Die Höhe der Rahmenstützen beträgt ca. 13m, wobei die horizontalen Träger der Rahmen auf einer Höhe von ca.11.50m anschliessen. Die Rahmen tragen das Hauptdach und nehmen Horizontallasten auf, z.B. Wind. Da die Eckstützen des Gebäudes keine Lasten des Daches aufnehmen sollen, muss der Eckbereich zusätzlich gestützt und die Deckenplatte im Eckbereich gelagert werden. Diese Stützung wird erreicht durch zusätzliche umlaufende Randträger, die direkt neben den Stützen an die Rahmen anschliessen. Die Randträger wirken als Durchlaufträger, die an den Hauptrahmen hängen und in den Eckbereichen 6m weit auskragen.
Fernwärmezentrale St.Gallen
Studienauftrag 2011
Architekten:
Aita Flury, Roger Boltshauser
Ingenieure:
Schnetzer Puskas Ingenieure AG
Landschaftsarchitekten:
manoa Landschaftsarchitekten GmbH
Fabrikhallen: Serie, Wiederholung und Abweichung, Skelett und Füllung aus: Typologien, Hilla und Bernd Becher