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Stoffwechsel

 

Traditionelles Wohnhaus und traditionelle Pfeilerscheune

Das traditionelle Engadiner-Wohnhaus ist eine Zusammenstellung, ein architektonisches Ineinandergreifen von verschiedenen Raumtypen zu einem einzigen, äusserlich homogenen, abgeschlossenen Gebilde. Die Integration von verschiedenen Räumen ist im Laufe der Zeit verschliffen worden, daraus ist die klassische Engadiner Architektur mit ihrer monolithischen, monokristallinen Erscheinungsform entstanden. Die Urform der Ställe, wie sie im gesamten Alpenraum anzutreffen waren, bestanden aus einem Strickverband von Rundhölzern. Eckverbindungen, die der Witterung stark ausgesetzt waren wurden gelegentlich eingemauert. Die Entwicklung zur Pfeilerscheune ist eine Schöpfung des Engadins, die Hölzer zwischen den Pfeilern hatten nun keine tragende Funktion mehr.

 

Vom Stall zum Wohnhaus

Die Fragen, die sich beim ‚Wohnen im Stall’ stellen lauten: Wie kommt man vom Zweckbau zum Bauwerk (Haus), ohne die bestehende Dorfstruktur zu torpedieren und wie erfüllt man gleichzeitig die heute ans Wohnen gestellten Anforderungen nach Licht, Luft und Raum?

 

Aussen - zwischen monolithisch und filigran

Auf den ersten Blick wird der Stall zum massiven, monolithischen Wohnhaus. Trotzdem erinnern die Fassaden auch an den ehemaligen Stall: Dies hängt mit der Art der Füllungen zusammen, damit, wie die verschiedenen Teile zusammengefügt sind. Nach wie vor erkennbar ist das starke Gerüst der gemauerten Eckpfeiler, darin eingefüllt ist ein System aus Beton- und Holzelementen, welches die Fassaden reliefartig gliedert. Die Fassade ist plastisch und doch besteht sie aus einer Addition von Einzelteilen. Die Fenster sind gross und doch verbinden sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit mit den tiefen Fensternischen des bestehenden Wohnhauses. Aussen wird das Haus zum Wohnhaus, seine Geschichte als Zweckbau, als Stall, bleibt dabei aber spürbar und begreifbar. Wir übertragen die tektonischen Eigenschaften der einen Bauweise auf die andere („Stoffwechsel“, Gottfried Semper). In einem solchen Stoffwechselprozess können Architekturglieder oft den Verlust ihrer baulichen Funktion überleben, ihr wesenhafter Ausdruck bleibt darin enthalten (vgl. Abb. Heilig-Geist-Kirche in Wien, Josef Plecnik)

 

Innen - zwischen Raumzellen und offenem Raum

Die Räume des neuen Wohnhauses suchen nach einer Mischung zwischen der traditionellen Zellenstruktur der Wohnhäuser und dem Einraum-Prinzip der Ställe. Die Geschosse zeigen dabei je nach Bedarf an Privatsphäre unterschiedliche Bestimmtheiten. Das Wohngeschoss im 1. OG ist der Ort, wo die ganze Fassade als eine Abwicklung wahrgenommen werden kann. Trotzdem gibt es Zonierungen der einzelnen Lebensbereiche. Die ‚Turmküche’ ist der Ort, wo die gesamte zweigeschossige und ursprüngliche Höhe des Stallraumes bis unter das Dach erlebt wird.

 

Die Mitte des Hauses ist der Ort des Feuers. Ein zentraler „fire place“ sitzt in einem Kern, der sich wie eine Art Knochen oder Rückgrat des Hauses von unten nach oben schraubt. Dieser dünnt sich von oben nach unten aus, im EG ist es nur noch der Installationsschacht, der die alte Mittelstütze ersetzt.

 

Die bestehende Holzbalkendecke des Erdgeschosses wird erhalten; die neuen Decken werden als massive Holzdielendecken ausgeführt. Die innere Materialisierung knüpft damit an die traditionelle Komposition von Holz in der Horizontalen und verputzten Mauern in der Vertikalen an.

 

Wohnhaus Sutter

Projekt

Scuol 2008

 

Architekten:

Aita Flury, Roger Boltshauser

 

Ingenieure:

Conzett Bronzini Gartmann AG

 

Publikation:

Elementares zum Raum 2009


01ScuolReferenz

Heilig Geist Kirche Wien

Architekt: Jože Plečnik