Ausgangslage
Mit dem Ersatzneubau Kantonsschule Wattwil (KSW) auf dem Areal der heutigen Aussensportanlagen Rietstein sowie der Erneuerung und Erweiterung des Berufs- und Weiterbildungszentrums Toggenburg (BWZT) an der Bahnhofstrasse soll ein gemeinsamer Campus entstehen, auf welchem beide Schultypen einzelne Teile der Infrastruktur gemeinsam nützen.
Prägende landschaftliche Elemente des Baufelds, das für den Ersatzneubau der KSW vorgesehen ist, sind nach Westen der direkt angrenzende, wunderbare Naherholungsraum der Thur sowie im Osten die rapid aufsteigende, bewaldete Bergflanke. Baulich ist der Perimeter geprägt von der bestehenden flächigen Punktbaute der Turnhalle im Norden sowie den beiden lärmbelasteten Strassen, Ebnater- und Bahnhofstrasse im Osten und Süden, inkl. neuem Kreisel im Südosten. Architektonisch bemerkenswert ist das im Süden der Bahnhofstrasse folgende Bleichereigebäude der Firma Heberlein von 1909 (heute Casablanca), das bis heute - trotz programmatischer und teilweise baulicher Veränderungen - durch seine plastische Fassade und seine Pilzstützen als einer der seltenen Zeitzeugen der weissen Moderne im Toggenburg erhalten geblieben ist. Der westlich der Thur liegende 70-er Jahre Bau der BWZT, Bestandteil des neuen Schulcampus, versprüht in seiner robust-kräftigen Materialisierung den Charme der Spätmoderne und ist in seiner Plastizität nicht minder wirkungsmächtig. Die Umgebung des Areals ist insgesamt landschaftlich als auch baulich äusserst heterogen.
Städtebau
Das neue Schulgebäude der KSW wird als kompaktes, langgestrecktes Volumen, dessen Geometrie/Ausrichtung der Thur folgt, entwickelt. Am südlichen Ende verdickt sich der Baukörper zu einem “Kopf“, der in seinen Dimensionen auf das Vis à Vis des Haupttraktes der BWZT reagiert: Das in seiner Dimension gemäss Machbarkeitsstudie nach Osten gestärkte Volumen der BWZT formt zusammen mit dem „Kopf“ der KSW eine Art Torsituation. Die Bauten an den gegenüberliegenden Flussufern werden so in direkte Beziehung zueinander gesetzt und - trotz grösserer Distanz über den Freiraum hinweg - wird so ein räumlich erfahrbarer Auftakt des neuen Campus installiert.
Das Nordende des neuen KSW Gebäudes wird zur Thur hin leicht eingerückt - zusammen mit dem südlichen, verdickten Kopfende wird ein U-förmiges Volumen etabliert, das zum Fluss hin eine räumlich empfangende, halbhofartige Situation generiert: Der 3-seitig gefasste Raum öffnet und verbindet sich dabei mit dem öffentlichen Thurraum/BWZT, bietet aber gleichzeitig genügend Schutz und Bestimmtheit, um klar als halböffentlicher, der KSW zugehöriger Raum wahrgenommen zu werden. Die sanft-territoriale Geste des Baukörpers schafft dabei einen kontextuell adäquaten, angenehmen Aufenthalts- als auch Erschliessungsraum für die neue Schule.
Die Positionierung der Fussgängerbrücke und das Weglassen der Baumkörper im südlichen Platzbereich zeigen in logischer Weise den Hauptzugang des Gebäudes an. Gleichzeitig verweist das auskragende Dach entlang der gesamten inneren „Hoffassade“ auf die weiteren Zu- und Ausgangsmöglichkeiten des EGs. Innen- und Aussenraum sind miteinander vielfach verzahnt, was durch die leichte Segmentierung, die bewusste Gliederung der Baukörperlänge auch auf der Ostseite wirksam wird: Über die 3 leicht ausgeschobenen Treppenhaustürme ist das lange Gebäude auch von der Ebnaterstrasse und dem internen Parkierungsbereich her direkt zugänglich.
Die ostseitig angeordneten Auto- und Motorradparkierungsbereiche werden als „grüne Taschen“ ausgebildet: Heckenkörper, Bäume und Überdachungen etablieren eine Sicht- und Lärmfilterschicht zur Ebnaterstrasse hin. Beim Gebäudekopf zur südlichen Bahnhofstrasse hin wird ebenfalls mittels „Grünraum-Poché“ der Lärm abgefiltert - ein Prinzip, das auch auf die bislang undefinierten 70-er Jahre Grünräume um das BWZT Gebäude herum übertragen wird. Auch der Vorbereich der bestehenden Turnhalle im Norden wird in dieser Logik weitergestrickt.
Landschaft
Der Schulweg vom Bahnhof zum neuen KSW Campus führt auf selbstverständliche Art und Weise im Norden der BWZT vorbei auf einen neuen Vorplatz, von wo aus die Passarelle direkt zum östlichen Ufer und zum Haupteingang der KSW führt. Platanenbestandende, chaussierte Eingangsplätze zonieren vor beiden Schulen den öffentlichen zum halböffentlichen Bereich. Bei der neuen KSW wird dies durch weitere Elemente wie ein Pflanzgarten und ein Gewächshaus im Norden unterstützt. Die Parkingzone im Osten der KSW wird zudem mit einzelnen Bäumen, Hecken und Hochstaudenfluren zu einer grünen Filterschicht zur Ebnaterstrasse. Der südliche Randbereich der beiden Schulen wird zum parkartigen Raum mit malerisch geschwungenen Wegen und runden Plätzen mit Sitzgelegenheiten und dient ebenfalls als Lärmfilterschicht.
Der Flussraum der Thur wird mit seinen neu geschaffenen Aufenthaltsqualitäten zur naturnahen Mitte, zur Kernzone der Campusanlage. Bei der Ufergestaltung wird als primäres Ziel der Erhalt des wunderbaren Baumbestandes den beiden Ufern entlang verfolgt. Unter Einhaltung der neuen Flusssohle wird dies möglich, indem das Schnittprofil der Uferböschung im oberen Bereich unverändert bleibt, unten zum Fluss hin aber neu ein befestigtes Ufer artikuliert wird: Eine flache Stützmauer aus grossen Natursteinblöcken mit begrünten Fugen fängt den unteren Uferhang ab und führt über zu Kiesbänken, die als kleine Strände entlang der Ufer implementiert werden. Über abschnittsbildende Treppen (+ 1 Rampe im Zusammenhang mit der Velounterführung im Süden) sowie auf der Ostseite einem schmalen befestigten Weg entlang des Flusses sind diese erreichbar und ermöglichen den Aufenthalt direkt am Wasser. Der obere Baumbereich wird möglichst belassen und mit einzelnen, topografisch gesetzten Sitzstufen aufgewertet, der Veloweg wird durch einen Krautsaum abgetrennt.
Bei den beiden Brückenköpfen wird das Terrain neu formuliert, sodass elegant-klare Widerlagersituationen ermöglicht werden. Die in direkter Adhäsion zur Brücke liegenden Böschungen sind mit tribünenartigen, orthogonal zur Brücke gesetzten Sitzstufen mit Gras dazwischen entwickelt: es entsteht ein klar differenzierter Auftakt für die beiden Brückenköpfe und gleichzeitig eine natürliche Verzahnung mit der angrenzenden, topografischen Gestaltung.
Die Eingangsbereiche vor den Schulen sind als Plattenbeläge mit grünen Fugen angedacht, sodass eine gute Versickerung gewährleistet ist. Insgesamt wird bei der Materialwahl auf klimafreundliche Baustoffe/Ressourcen Wert gelegt.
Die unterschiedlichen, aufeinander einwirkenden Massnahmen der Umgebungsgestaltung verfolgen das Ziel eine dem Ort und der Nutzung adäquate Mitte zwischen „naturnah“ und „urban“ zu etablieren. Dabei wird Gebautes und Gewachsenes zu einer untrennbaren Einheit verwoben.
Das neue KSW Schulhaus
Das neue KSW Schulhaus zeigt ein überhohes Erdgeschoss, in welches partiell Mezzaninebenen integriert sind, sowie 3 Obergeschosse.
Im EG sind alle wichtigen öffentlichen Räume angeordnet: Das langgestreckte Volumen ermöglicht eine Orientierung von Lounge, Mensa/Freeflow, Foyer und Bandräume zu Platzraum und Thur hin. Working Space, Mediothek sowie Aula und Referateraum docken in logischer Weise ebenfalls an die grosszügige innere Erschliessungsfigur an und besetzen die weiteren Gebäudeseiten. Das ganze EG kann bei Bedarf als ein grosszügiger, multifunktionaler Open Space mit grosser Ost-West Durchlässigkeit genutzt werden. Räumliche Spannung entsteht unter anderem durch die Adhäsion von überhöhen Räumen mit den „eingehängten“ Mezzanin-Räumen, welche Campus-Services und weitere Nebenräume beherbergen.
Die mäandrierende, innere Erschliessungsfigur mündet im Süden im Lichthof, welcher - leicht aus der Mitte des verdickten Kopfbaus geschoben - das Gebäude in seiner ganzen Höhe erfahrbar werden lässt. Dieser liegt zudem in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs, prägt im EG das Aulafoyer und bildet den eigentlichen Auftakt des Hauses. In den oberen Schulgeschossen ist er Drehmoment, Ort der Begegnung und des Sich Sehens, bietet mit seinen zu Lerntischen ausgebildeten Brüstungen aber auch Orte des Studiums.
Die traktweise zueinander versetzten, einläufigen Treppen in der mittigen Erschliessung gliedern durch die unterschiedlichen Einbaumöbel, welche die Zimmerschichten begleiten, vor allem aber über die Einschnitte der Loggias die Korridorlänge in fassbare Abschnitte: Es entsteht ein vielfach lesbarer Raum mit zahlreichen Querbezügen, welcher der Erschliessung als auch dem Aufenthalt dient: Die inneren Ausweitungen vor den Loggias als auch die Loggias selbst sind angenehme Orte des Verweilens. Die gedeckten Aussenräume der Loggias verzahnen zudem das Innere mit dem Aussen. Die Schulzimmer selber sind als Raumkränze entlang der gesamten Gebäudeabwicklung angeordnet und profitieren von idealen Lichtverhältnissen. Im Bereich des „Schwanzes“ ist durch die vorgeschlagene Anordnung zudem eine optimale Querlüftung möglich.
Die Dachfläche wird in den mittleren beiden Gebäudesegmenten ebenfalls als Ort des Aufenthalts ausgebildet: Neben den erforderlichen Aussenflächen Physik werden 2 Pergolas aber auch 1 Sportfläche angeboten. Die Dachflächen an den Enden des Gebäudes sind der Photovoltaik vorbehalten.
Die Stimmung im gesamten Gebäude wird geprägt von den sichtbaren, linearen Holzbauteilen: dicht gesetzte Balken an den Decken und kräftige Stützen machen die Räume nah- und greifbar.
Fassaden/Ausdruck
Die Ausarbeitung der hölzernen Gebäudehülle aus Holz in einer feinräumlichen Plastizität ist Abbild des Bestrebens den Gebäudeausdruck aus konstruktiven Themen zu entwickeln: Die hinterlüftete, hölzerne Aussenhaut ist als Grid (Gitter) interpretiert: Vertikale Plus/Minus-Schalungen werden mit horizontalen Sturzstreifen aus grossformatigen Schindeln kombiniert. Sie rahmen partiell Füllungen ein, die aus der Kombination einer Stülpschalung aus grossformatigen Brettern und vertikalen Deckleisten den Eindruck eines Verbunds aus rechteckigen Holzplatten suggeriert (vgl. japanischer Holzbau).
Die Fenster sind aus Holz/Metall und als Sonnenschutz sind textile Fallarmmarkisen vorgesehen. Um die Metallanteile der Fenster stärker mit der Holzhülle zu verzahnen werden im Bereich der Lisenen zusätzliche „Pfostenschilder“ aus Metall eingeführt - diese Ornamente verweisen auf die innere Fügungslogik des Tragwerks aus Holz und verklammern Vertikale mit Horizontale. Insgesamt sind alle Massnahmen darauf ausgelegt eine freundlich wirkende Fassade (Allegro con spriito) zu etbalieren, die bis auf die feinräumliche Ebene hinunter das grosse Gebäude strukturiert/gliedert und den Bezug zum menschlichen Massstab herstellt.
Farben
Die angedeutete äussere und innere Farbigkeit, die bei einer Realisierung minutiös geprüft werden muss, ist potentes Mittel, um warme, atmosphärische Räume zu etablieren - ein Haus zum Lernen mit einer aneigenbaren und gleichzeitig wohnlichen Atmosphäre ist das Ziel. Im Innern bietet die optische Verschleifung oder aber Kontrastierung von Trag- und Einbauelementen grosses Potential zur optischen Austarierung der Räume. Das Material Holz bleibt präsent und spürbar wird aber optisch „getrimmt“.
Tragwerk
Das KSW-Gebäude ist im Wesentlichen ein Holzskelett mit aussteifenden Türmen in Stahlbeton. Die Decken liegen auf klassischen Balkenlagen, ausgesteift mit Holzwerkstoffplatten. Die Balkenlagen liegen relativ dicht. Sie erzeugen einen „italienischen“ Ausdruck. Die Balken sind auf einen Brandwiderstand von R60 dimensioniert. Aus diesem Grund beträgt die minimale Breite 200 mm. Für die niedrigeren Balkenlagen mit Trägerhöhen unter 26 cm wird die Beschaffung von Vollholzträgern geprüft werden. Die übrigen Balken bestehen aus Brettschichtholz in Fichte/Tanne, die Hauptträger teilweise auch in Buche. Die Balkenlagen sind mit Schwalbenschwanzverbindungen in die Hauptträger eingelassen. Diese metallfreie Verbindung ist feuerfest. Die Hauptträger liegen auf Buchenstützen. Die Buchenstützen umfassen die Hauptträger und leiten die Lasten des mehrgeschossigen Gebäudes ohne Verbindungen mit Querdruck nach unten, sodass Setzungen ausgeschlossen sind.
Die Aula wird mit Stahlbetonrahmen überspannt. Die weitgespannte Konstruktion fängt die darüberliegende Holzkonstruktion ab und ermöglicht dadurch, in diesen Bereichen dasselbe Konzept des Holztragwerks wie im übrigen Bau konsistent weiterzuführen.
Die Gründung des Gebäudes erfolgt über Bohrpfähle. Bei den aussteifenden Kernen in nicht unterkellerten Bereichen wirken die Pfähle im Erdbebenfall auf Zug- und Druck.
Das Vordach ist eine vom Hauptbau thermisch getrennte Holzkonstruktion. Es steht auf eigenen Stützen, die exzentrisch unter den quer zur Fassade laufenden Hauptträgern stehen. Der Anschluss ans Gebäude kann damit aus einer einfachen Querkraftverbindung bestehen.
Brücke
Die Thur wird mit einer einfeldrigen Rahmenbrücke überquert. Der Rahmenriegel besteht aus einem Stahlhohlkasten im Verbund mit einer Gehwegplatte in Beton. Er ist beidseits in die Rahmenstiele aus Ortbeton eingespannt. Das leichte Tragwerk kann im weichen Baugrund mit Bohrpfählen wirtschaftlich fundiert werden. Die Gehwegplatte ist mit einem Belag aus Gussasphalt abgedeckt. Die Brücke ist robust, ohne bewegliche Teile und praktisch unterhaltsfrei.
Kantonsschule Wattwil
Wettbewerb 2020
Architektin:
Aita Flury
Ingenieure:
Conzett Bronzini Partner AG
Landschaftsarchitekten:
ghiggi paesaggi
Berufs- und Weiterbildungszentrum Toggenburg, Wattwil