Ausgangslage
Der Kontext um den Wettbewerbsperimeter an der Burgfelderstrasse zeigt sich wie folgt: Die Parzelle gehört texturmässig zu einem dreieckigen Gebiet, das von Nordost-Südwest ausgerichteten Zeilenbauten mit unterschiedlichen Längen und parallel dazu verlaufenden Aussenräumen der Kommunalsiedlung Pfaffenholz geprägt ist. Im Osten des Perimeters zieht sich eine ähnliche Bebauungsstruktur aus niedrigeren Zeilenbauten weiter. Im Nordosten, auf der gegenüberliegenden Seite der Burgfelderstrasse ist zurzeit ein strassenraumbildendes, extrem langes Gebäude (rund 200m) im Bau. Seine stark gestaffelte Fassade lässt die inneren Einheiten erfahrbar werden, gliedert die enorme Gebäudelänge und bringt das Volumen in einen menschlichen Massstab. Der durch die Materialisierung und durch den konstruktiven Ausdruck erzeugte robuste Charakter dieser neuen Genossenschaftsbaute wird für den Strassenraum und das Quartier prägend werden. Über die Materialisierung wird zudem der link zur spätmodernen Tramwartehalle von Julius Maurizio von 1959/60 hergestellt, welche die östliche Ecke des Wettbewerbsperimeters besetzt.
Städtebau
Das neue Volumen gliedert sich in die Typologie der Zeilenbauten der Pfaffenholzsiedlung ein. Es zeigt dabei eine mittlere Länge, die aus dem räumlich noch vertretbaren Minimalabstand zur Tramwartehalle evaluiert ist. Das längliche Gebäude (36.5m lang) wird raumbildend entlang der Burgfelderstrasse platziert und seine nordöstliche Seitenfassade definiert den Anfang der orthogonal querenden, mittleren Fussgänger-Erschliessung der Pfaffenholzsiedlung. Diese Positionierung lässt das neue Haus zum wichtigen optischen Bezugspunkt werden, gerade auch aus der Perspektive der Siedlung von innen heraus (siehe Rendering Garten). Seine Höhe von insgesamt 6 Geschossen (EG + 5OGs) macht das neue Gebäude zum höchsten der unmittelbaren Umgebung und artikuliert seine Funktion als Kopfbaute mit öffentlichen Nutzungen im EG. Vor dem Hintergrund dieses Höhenprimats wird das Gebäude volumetrisch einfach gehalten und nur seine Plastizitätsgrade – seitenabhängig – feinräumlich moduliert.
Aussenraum
Die eingeschossige Tramwartehalle wird zum Ausgangspunkt dafür weitere, typologisch verwandte Pavillons raumbildend in die heute haltlosen Zwischenräume der Zeilenbauten zu platzieren. So spannt der neue Velounterstand im Südwesten der Wettbewerbsparzelle zusammen mit der bestehenden Tramwartehalle einen geschützten Rahmen für den Aussenbereich der Kigas und der Tagesbetreuung auf. Auch in die restlichen Zwischen-Aussenräume im erweiterten Betrachtunsperimeter werden solche Kleinarchitekturen für Velos und andere, mögliche Funktionen eingestellt - diese zonieren den fliessenden Zwischenraum in Abstellräume, Aufenthaltsorte (mit Hochstaudenflure gefasste Kreisbereiche) oder Pflanzgebiete (Beete).
Wie diese Gestaltung im Detail auszusehen hat muss in einer weiteren Planung unter Einbezug des konkreten Bedarfs geklärt werden. Der Vorschlag möchte zum jetzigen Zeitpunkt vor allem aufzeigen, dass die bestehende Tramwartehalle durch die Einbindung in eine „Pavillonfamilie“ neue Kraft und Daseinsberechtigung entwickeln kann.
Eine Privatisierung der EG-Bereiche bei den bestehenden Wohnbauten mittels fetten, vereinheitlichenden Wildheckenbändern dient der Kräftigung, Beruhigung der Grünräume. Der Baumbestand wird respektiert und wo sinnvoll durch weitere einzelne Pflanzungen ergänzt. Darüber hinaus werden im Idealfall die im originalen Aussenraumplan eingezeichneten gebrochenen Natursteinplatten für die parallel zu den Häusern laufenden Wege realisiert. Die mittlere orthogonale Erschliessung wird als erdender Terratonbelag umgesetzt.
Das neue Haus
Die grösste Herausforderung des vorliegenden Programms ist die geschickte Kombination der zusammenhängenden Nutzung im EG bestehend aus Kiga- Einheiten/Tagesstruktur mit der vertikalen Erschliessung der restlichen Geschosse. Die vorgesehene Platzierung der Erschliessungsschicht (Lage innerhalb des Baukörpers 1/3 – 2/3) überzeugt aus mehreren Gründen:
- Von Südwesten (Garten) her ist ein direkter Zugang in die Erschliessung inkl. direkter Liftzugang von aussen möglich
- Zwei Aussentreppen führen sowohl von der Strasse als auch vom Garten direkt ins 1.OG, wo die Büros liegen und die Wohnnutzungen beginnen
- Die innere Erschliessungstreppe geht vom 1.UG bis ins 5.OG durch, unter gleichzeitiger Wahrung der zusammenhängenden Kiga und Tagesbetreuungsfläche im EG. Für diese Nutzung wird dadurch auch eine Aussenfläche in direktem Bezug zu innen und mit Ausgang vom Garderobenbereich möglich
- Die Lage der Erschliessung macht es möglich die Fluchtweglängen aller Räume mit einer einzigen Treppe einzuhalten, was sehr effizient ist
- An der pragmatischen, aber zweiseitig belichteten Erschliessungsschicht hängen auf mehreren Geschossen die öffentlichen Waschküchen. Das Treppenhaus wird so zum Begegnungsort
Die EG Nutzungen (Kiga und TB) werden gedeckt über mehrere Zugangsmöglichkeiten von der Burgfelderstrasse her erschlossen. Der grosszügige Garderobenbereich bildet einen Filter zur Strasse, die Aufenthaltsräume sind alle nach Südwesten zum Garten hin orientiert. Die Tramwartehalle wird als multifunktionales Spielhaus für den Kiga/TB genutzt. Die Büros im 1.OG sind als zusammenhängende Einheit organisiert und vom Treppenhaus her direkt erreichbar/einsehbar.
Die Wohnungen vom 1.OG bis ins 5.OG folgen einer klassischen, durchgesteckten Wohntypologie, die demokratische Verhältnisse schafft: jede Wohnung, so klein sie auch ist, profitiert so von Morgen- und Abendsonne und jede Wohnung hat Gartenblick. Möglich wird dies durch einen Laubengang auf der Nordostseite. Nach Südwesten hin sind alle Wohnungen mit grosszügigen Loggias ausgestattet, die mit ihrer abgeknickten Abwicklung eine feinräumliche Verzahnung mit dem Gartenraum etablieren - man kann kanzelartig in den Garten hinausstehen. Die paraventartigen Konstruktionen zwischen den Loggias und die Vorhänge privatisieren diese.
Verschiedene Wohnungsgrössen sind durch die gewählte Struktur einfach und variantenreich möglich – der Wohnungsspiegel kann damit auch angepasst werden (siehe Schema Belegungsvarianten). Bei den grösseren Wohnungen ist jeweils ein Achsraster ein durchgesteckter Wohnraum, von welchem aus die anderen Räume erschlossen werden. Die 1-Zi Whg werden durch die leicht aus der Mitte versetzten Nasszellen in einen Wohn-/Ess- und Schlafbereich zoniert, der Grossteil der 2-Zi Whg folgt diesem Schema, profitiert aber von grosszügigeren Flächenabmessungen, da sie an den Gebäudeenden platziert sind: Hier kommt zusätzliche seitliche Erkerfläche als auch der Zuschlag zum Innenraum im Bereich der Laubengangtiefe dazu.
Ausdruck/Material
Das neue Haus zeigt - wie sein vis à vis - einen robusten Charakter: Sein Äusseres ist geprägt von der lebendigen Textur der Abbruchziegel - die Recyclingbacksteine werden z.B. von der Firma Backsteinkontor in Köln angeboten - in Kombination mit den Laubengang- und Loggiaelementen aus Recyclingbeton und Eichenholzfenstern - in ihrer Dauerhaftig- und Zeitlosigkeit sehr nachhaltige Materialien. Die Fassaden reagieren auf den Kontext: Die Strassenfassade zeigt einen grösseren Anteil an geschlossenen Elementen, die Seitenfassaden sind flächig mit Erkerausstülpungen ausgebildet, die Gartenfassade schliesslich zeigt grösstmögliche Offenheit unter Beibehaltung der optischen Stabilität des Hauses. EG und 1.OG werden über die zweigeschossigen Backsteinpilaster optisch zusammengebunden, was nicht nur auf die Nutzungen verweist, sondern einer allgemeinen Harmonisierung der Vertikalentwicklung dient. Die abgerundeten Dachvorsprünge des Attikageschosses bilden die Ausnahme in der rechtwinkligen Fassadenordnung – sie erzeugen eine Leichtigkeit des oberen Gebäudeabschlusses und vermitteln zur Formensprache der Tramwartehalle.
Im Innern zeigen die Wohnungen archaische Rohheit, die bestimmt wird von Sichtanhydritböden, geschlämmten Kalksteinen für die Wände, dem Betonrahmenskelett aus Recyclingbeton und der dichten Holzstruktur der Brettstapeldecken. Die Atmosphäre ist warm, erdig und aneigenbar zugleich.
Tragwerk/Konstruktion
Ökologische und ökonomische Aspekte werden in einer hybriden konstruktiven Logik intelligent umgesetzt: Ein Tragwerk in Holz- und Betonbauweise wird mit Fassaden aus recycelten Backsteinen kombiniert. UG, stabilisierende Kerne und ein struktureller Rahmen in Beton, die Decken in Brettschichtholz, die Gebäudehülle aus Reuse - Backsteinen. Der differenzierte Materialeinsatz akzentuiert sowohl die architektonisch-räumliche als auch die strukturell-konstruktive Bedeutung der einzelnen Gebäudeteile. Durch das differenzierte Ineinandergreifen von Konstruktion und Statik resultiert eine zeitloser und damit nachhaltiger Hybridbau, dessen Flexibilität sich verändernden Bedürfnissen gerecht werden kann.
Das fünfgeschossige Tragwerk oberhalb des massiven Kellergeschosses besteht aus einem modulartigen Deckensystem in Holz-Betonrahmenbauweise, welches sich durch die skelettartige Struktur mit einem Raster von 3.6 x 6.0m äusserst nutzungsflexibel zeigt. Die umlaufende Erschliessung ist mit vorgefertigten Platten und gestützten Unterzügen in Recyclingbeton konzipiert und wird durch in die Wohnungstrennwände integrierten Stützen abgetragen. Der im Vergleich zur konventionellen Massivbauweise um etwa 35% leichtere Holzbau der Innendecken gestattet auf diesem Weg eine ressourceneinsparende Bauweise. Die Ortbetonbauteile werden in Recycling-Beton ausgeführt, der Bauschutt wird wiederverwertet und die immer knapper werdenden Kiesreserven geschont. Die nichttragenden Wohnungstrennwände sind aus schalldämmenden Kalksandsteinen und die Fassade in rezyklierten Backsteinen geplant.
Der Entwurf des Gebäudekörpers greift zwei Kernthemen der wirtschaftlichen Planung eines Skelettbaus mit einer scheibenartigen Aussteifung auf. Die regelmässigen Spannweiten im Innern und der hohe Grad an Wiederholung in den umgebenden Zimmereinheiten spricht für eine sehr ökonomische, industrielle Bauweise. Über die volle Gebäudehöhe tragen die als vertikal lastdurchleitenden RC-Betonstützen (alternativ auch in Baubuche oder Fichte Tanne möglich) die Deckenlasten in das Kellergeschoss ab. Neben den Vorteilen der höheren Masse für klimatechnische Speicher-, akustische Schall- und mechanische Schwingeigenschaften spricht die Bevorzugung der vorgefertigten Brettsperrholzelemente mit einer schubsteifen Kopplung für die statische Deckenscheibenwirkung. Diese nimmt die Horizontallasten aus Wind- und Erdbebeneinwirkungen auf und leitet sie über den Erschliessungskern und die Aussenwände in den Untergeschosskasten ab. Um grössere Spannweiten im Bereich der Kindergartenräume im EG zu ermöglichen, werden die darüberliegenden Bürotrennwände im 1.OG partiell als Wandscheiben ausgebildet.
Für eine wirtschaftliche und zugleich ausführungseffektive Bauweise wird das Tragwerk wo möglich in einem ressourcenschonenden Holzelement- und Betonrahmenbau geplant. ‚Just-In-Time’ sollen die Bauteile angeliefert und montiert werden. Bezüglich Baustellenlogistik wird so eine Vielzahl von Vorteilen vereint. Eine hohe Termintreue gewinnt dadurch eine sprichwörtliche ‚Festigkeit’. Eine konsequente, materialgerechte Planung in Holz und Recyclingbeton in hoher Präzision zeichnet das vorliegende Projekt aus.
Burgfelderstrasse Basel
Wettbewerb 2021
Architektin:
Aita Flury
Ingenieure:
Schnetzer Puskas Ingenieure AG
Künstlerkolonie Wiedikon Zürich
Ernst Gisel 1953