Naturmuseum St. Gallen
Situation/Städtebau
Aufgrund der dispersen Situation des Areals und des ehrgeizigen Raumprogramms für das neue Naturmuseum verfolgt das Projekt die Setzung eines möglichst einfachen, kompakten Baukörpers. Dieser simple Block wird durch seine Dimensionen und Proportionen zum dritten Baustein im Dreieck Kirche St. Maria Neudorf, Hauptgebäude des Botanischen Gartens und Naturmuseum. Das Gebäude zeichnet sich dabei durch eine eigenständige Volumetrie aus, die in ihrer horizontalen Ausdehnung über eine genügende Grösse verfügt, um sich als drittes Glied zu behaupten. Um den additiv aufgebauten Volumen insbesondere der Kirche als auch des Botanischen Gartens typologisch nicht zu nahe zu treten, bleibt der Block in der Vertikalen konstant.
Die gewählte Lage und die Limitierung des Gebäudes auf 3 Geschosse ermöglichen auf der rückwärtigen Gebäudeseite einen adäquaten äusseren Leerraum, der die andere Masstäblichkeit der nordwestlich angrenzenden Einfamilienhäuser respektiert. Zur Rorschacherstrasse hin wird das Gebäude im Erdgeschoss „skulpiert“: eine Arkade vermittelt über die gesamte Länge als Übergangsraum zwischen Aussen und Innen. Dieser grosszügige und gleichsam schützende Eingangsraum ist Antwort auf die Dynamik der verkehrsbelasteten Rorschacherstrasse, aber auch auf die Wucht der abgetieften Autobahnschneise, die im Südwesten das Gebiet dramatisch untergräbt. Die Dachfläche des Blocks wird als fünfte Fassade von einer Oblicht-Struktur geprägt, die auf die innere Disposition und auf die Schichten-Dachlandschaft des Hauptgebäudes Botanischer Garten verweist, nicht zuletzt aber auch die für das Museum typische Situation der von oben belichteten Ausstellungshallen explizit macht.
Aussenraum
Der parkartige Aussenraum, der zwischen der Kirche und dem neuen Naturmuseum aufgespannt wird, soll weiterhin von der sanft modulierten, leicht aufsteigenden Wiese geprägt bleiben. Zur Unterstützung dieser Idee bleiben die vorgenommenen Eingriffe möglichst klein und peripher: Ein an den Rändern zur Kirche hin sich aufschwingendes Wegnetz verbindet die verschiedenen Attraktionen untereinander und führt schliesslich in den befestigten Kirchenvorplatz über. Dem Wegsystem wird ein Baumkörper überlagert, der die Ränder der Wiese räumlich fasst und den in den „Wegtaschen“ (pochés) angelegten Gehegen und Teichen Schatten spendet. Die Findlinge werden entlang der Wege auf der Wiese platziert.
Anlieferung und Aussen-Parkplätze werden auf möglichst ökonomische Weise im nordöstlichen Teil des Grundstücks mit direkter Zufahrt über den Pappelweg gelöst. Das Parkplatzfeld wird dabei ebenfalls vom dem sich aus dem Park herausentwickelnden Baumkörper überlagert, welcher als Filterschicht zur EFH-Zone agiert.
Fassade
Die Ansprüche der Repräsentation, die ein Museum hat, werden über eine differenzierte Ausbildung der Fassaden, die auf den Kontext Aussen und Innen reagieren, umgesetzt. Ein autonomes, sich selbsttragendes und in sich steifes Gerüst aus recyceltem Beton gibt der Fassade plastische Tiefe. Es wird einer hochgedämmten „Box“ dreiseitig über- und vorgestellt. Rahmenartige, profilierte Bügel bilden eine Primärstruktur, die über rautenförmige Beton-Elemente horizontal ausgesteift wird. Menge und Lage dieser strukturellen Ornamente werden von der Situation und dem Innenraum bestimmt. Die beiden Hauptfassaden zur Rorschacherstrasse und zum Park/Kirche hin weisen einen grösseren Ornamentanteil auf, wobei die Rautenfelder immer so angeordnet werden, dass das Körperhafte des Gebäudes betont wird und die innere Geschossigkeit eher unterschwellig in Erscheinung tritt. Diese Massnahme verhilft dem Gebäude zu einer gewissen Abstraktion und verweist auf den Typus des Ausstellungsraumes, des Behälters. Die Vertikalen des Gerüsts treten als durchlaufende Pfeiler in Erscheinung, was dem langgezogenen Baukörper optisch zu Auftrieb verhilft. Sie erinnern zudem an die typischen Pfeilerarchitekturen der St. Gallischen Stickereigeschäftshäuser des frühen 20. Jh..
Die Schaufassade zur Rorschacherstrasse hin wird gleichzeitig durch eine bandartige, offene Verglasung im EG, welche zum Park hin um die Ecke gezogen wird, und durch das Fensterband im 2.OG auch in der Horizontalen optisch stabilisiert. Die Nordostfassade (Bürotrakt) ist weniger abstrakt, verweist auf die Handlungsebenen im Innern und zeigt der Nutzung entsprechend mehr direkte Verglasung. Die Fassade zum Pappelweg hin schliesslich tritt als geschlossene, mit Lehm verputzte Wand in Erscheinung und verweist damit auf die innere Anordnung der das Haus durchquerenden, Schotten aus vorfabrizierten Stampflehmelementen. Durch das gewählte System entsteht im Inneren eine Vielfalt an unterschiedlichen Licht- und Raumstimmungen auf den verschiedenen Ausstellungsgeschossen.
Typus/Atmosphäre/Organisation
Einem Lagerhaus/Industriebau ähnlich zeigt das neue Naturmuseum im Innern eine kompakte Organisation, strukturelle Kräftigkeit und eine gewisse materielle Rohheit. Dieser Typus symbolisiert Dauerhaftigkeit und gleichzeitig Anpassungsfähigkeit, zwei Eigenschaften, die für das Naturmuseum zentral sind. Die materielle Rohheit sorgt zudem für eine Atmosphäre, die das Museum klar von einer neutralen „white-cube“ - Stimmung wegrücken will: Die konstruktiven Elemente und die materielle Dichte der Oberflächen bilden einen archaischen Rahmen für das natürliche, oft filigrane Ausstellungsgut, binden dieses ein und sind gleichzeitig Hintergrund, sodass der Raum weder überbestimmt noch dominant wirkt.
Die Raumdisposition ist vom Raumprogramm geprägt und innerhalb der strukturellen Elemente etabliert. Dreh- und Angelpunkt ist das leicht azentrische Treppenhaus, über welches alle öffentlichen Bereiche direkt erschlossen werden. Mit direktem Bezug zum neuen Park und Kirche sind im Südwesten des EGs die öffentlichen Nutzungen angelagert: Unterrichtsraum, Kurs/Vortragsraum flankieren den Eingangsbereich mit Cafeteria. Die Vogelpflegestation wird direkt und autonom über den hinteren Parkplatzbereich erschlossen, Werkstätten und Personaleingang sind in direktem Bezug zum Aussenraum im Nordosten platziert.
Die Ausstellungswelt der oberen zwei Geschosse kündigt sich über die grossen und belebten Vogelpflegeschaufenster im Treppenhaus bereits im EG an. Von dort steigt der Besucher in das 1. OG, wo eine geschichtete Raumanordnung eine Art Rundlauf durch die Ausstellungshallen ermöglicht, der wieder im Treppenhaus endet. Zum Schluss gelangt der Besucher auf die obere, zenital belichtete Ausstellungsebene, die er ebenfalls in einer kreisenden Bewegung erfahren kann. Die Büroräume sind als Raumschicht im Nordwesten des Gebäudes angelegt und durch einen „querliegenden“ Funktionskern von den Ausstellungsräumen separiert.
Statisches Konzept
Das Tragwerk besteht aus Stahlbeton. Der Büroteil ist konventionell mit Wänden und Flachdecken aufgebaut. Die weiter gespannten Räume werden mit vorfabrizierten, im Spannbett vorgespannten „Pi-Trägern“ überdeckt. Diese Träger werden durch einen Überbeton monolithisch mit den Primärträgern verbunden. Die Primärträger besitzen einen umgekehrten U-förmigen Querschnitt und sind dadurch geeignet, Leitungen aufnehmen. Die vorfabrizierte Konstruktion ist materialsparend und einfach zu montieren. Die Kosten sind entsprechend günstig. Die horizontale Aussteifung erfolgt primär über den Bürotrakt. Die „innere“ Tragkonstruktion ist überall wärmegedämmt, auch in den Arkadenstützen. Die betonierte Aussenfassade trägt sich selbst; sie ist über dem Dach mit Betongurten ausgesteift, um sich unter horizontalen Einwirkungen nicht zu verformen. Dadurch gibt es keine Bauteile, welche die Wärmedämmung durchdringen.
Minergie-P Eco
Die optimierte und gut gedämmte Gebäudehülle und die optimale Orientierung der Baukörper ist Grundvoraussetzung, um den angestrebten Minergie-P Eco Standard zu erreichen. Dazu gehört auch die richtige Dimensionierung der Fensterflächen. Dadurch kann ein hoher Lichteintrag in den Raum erfolgen, was einen höheren Energiegewinn im Winter gewährleistet. Im Sommer kann durch den äusseren Sonnenschutz einer Raumseitigen Überhitzung vorgebeugt werden. Die Gebäude sind dank dieser Optimierung im Energiebedarf „Heizen“ auf ein absolutes Minimum und ein Kühlen im Sommer erübrigt sich. Die typischen Werte für Minergie-P Eco Standard werden eingehalten. Entsprechend den neusten Empfehlungen des Minergie-Vereins, werden die Funktionen „Heizen“ und „Lüften“ getrennt, aber interdisziplinär betrachtet.
Den Anforderungen von Minergie-P Eco wird mit der Verwendung von recyceltem Beton in der Primär- und Sekundärkonstruktion, vorfabrizierten Stampflehmelementen und Lehmverputzen bei den Wänden sowie Holz im Bereich von Bodenbelag und Fensterrahmen speziell Rechnung getragen.
Haustechnik
Sämtliche Technikzentralen sind im 1. UG untergebracht. Für die Lüftungsanlagen sind zwei separate Technikzentralen vorgesehen. Von der einen Zentrale werden sämtliche "Publikums-Räume" erschlossen, und von der Anderen die übrigen Räume wie Büros, Werkstätten, Nebenräume, etc. Die Aussenluft-Ansaugung erfolgt über ein Erdregister und wird direkt in die zwei Lüftungszentralen eingeführt. Über die drei Haupt-Steigschächte im Kernbereich werden sämtliche Räume des Erd- und der Obergeschosse, getrennt nach deren Nutzungen, mit allen Medien (HLKS) erschlossen. Die horizontale Verteilung (Lüftung) in den Publikumsbereichen erfolgt hauptsächlich innerhalb der grossen, u-förmigen Querträger. Die Kanäle- und Rohre können so verdeckt und ohne zusätzliche Raumeinbusse bis an deren Bestimmungsort geführt werden. Sowohl die Lufteinführung wie auch die Luftabsaugungen aus den Räumen erfolgt an der Decke. Die Zu- und Abluftöffnungen sind jeweils an den einander gegenüberliegenden Raumseiten angeordnet, um eine optimale Raumdurchspülung sicherzustellen. Die Fortluft wird über Dach ins Freie ausgeblasen. Die Elektroerschliessung erfolgt über eine separate Steigzone im Kernbereich. Die Geschossverteilung wird ab den einzelnen Geschossverteilern abgenommen.
Naturmuseum St. Gallen
Wettbewerb
St. Gallen 2009
Architekten:
Aita Flury, Roger Boltshauser
Ingenieure:
Conzett Bronzini Gartmann AG
Landschaftsarchitekten:
Mettler Landschaftsarchitektur
Pfeilerarchitektur St. Gallen
Stickereigeschäftshaus Pacific 1907
Architekten: Curjel & Moser