Neubau Krematorium Thun
Situation – Bestandesanalyse
Der im Südwesten von Thun gelegene Friedhof Schoren liegt in einer heterogenen Umgebung: Auf seinen Längsseiten wird das polygonale Areal des Friedhofs im Westen von der Strättligenstrasse begrenzt, im Osten stösst es an ein grossmasstäbliches Industrieareal (Duscholux). An seinen Kurzseiten grenzt es im Norden an eine unbebaute Fläche, während dessen die Südseite von einer Häuserreihe eines W2-Zonenfragments gerahmt wird. Die fast topfebene Fläche des Friedhofs ist durch ein orthogonales Wegnetzt geometrisiert, welches das Areal in mehr oder minder regelmässige Rechtecke unterteilt, in welche einzelne Gräberfelder eingeschrieben sind. Die Ränder des Friedhofareals sind durch den schönen, gewachsenen Baumbestand räumlich akzentuiert. Dieser rahmt den Blick auf das allseitig grossartige Alpenpanorama und blendet die unmittelbare Umgebung weg.
Der Baumbestand begleitet in lockerer Anordnung auch das innere Wegnetz - der Zubringerweg Strättligenstrasse - Abdankungshalle wird durch eine ausgeprägt Baumdichte und -höhe zur „Hauptallee“ erhoben. Die bestehende, architektonisch schlichte Abdankungshalle bildet vom Länggässli her den Auftakt zur Anlage und ist über einen Platz an das innere Wegnetz angehängt.
Insgesamt handelt es sich - sowohl landschaftlich als auch baulich - um eine unaufgeregte Anlage, die ihre Kraft vor allem aus ihrer stillen (An)Ordnung bezieht, die den allseitig spektakulären Hintergrund des Alpenpanoramas wesentlich in Erscheinung treten lässt.
Das neue Projekt
Das geforderte Raumprogramm von Krematorium und Friedhofsunterhalt wird auf zwei Volumen verteilt – deren Setzung führt die vorgefundene Logik weiter: Beide Gebäude zeigen längsrechteckige Geometrien, die dazu eignen, den neuen Friedhofsteil von Nordwesten nach Südosten aufzuspannen: analog dem Bestand wird das orthogonale Wegnetz mit seinen (Gräber)Feldern weitergestrickt.
Das Krematorium sitzt abgerückt von der Strättligenstrasse, „mitten“ im Friedhof: Es ist damit frei von Strassenlärmimissionen und folgt der Idee, dass ein Weg der Besinnung, der Trauer zu Fuss zurück gelegt wird, bevor der Ort des Krematoriums erreicht wird. Seine Ausrichtung orientiert sich am Wegnetz: wie die Abdankungshalle ist es über einen Vorplatz, einen Besammlungsplatz an dieses angehängt. Dieser wird zum Scharnier für die verschiedenen Fussgänger-Zubringerwege von der Abdankungshalle, vom neuen Zugang an der Strättligenstrasse oder vom nordöstlichen Stichweg her.
Das Gebäude „Friedhofunterhalt“ wird leicht aus dem orthogonalen Wegnetz abgedreht und folgt der Strassengeometrie, so wie es weiter nördlich die Gärtnerei an der Strättlingerstrasse tut. Es zeigt damit an, dass es nicht ausschliesslich zum Friedhof gehört, sondern in Verbindung zur Strasse steht, da von hier aus die Bewirtschaftung aller Thuner Friedhöfe erfolgt. Die leichte Abdrehung vermeidet zudem ein frontal-konfrontatives 1:1 vis à vis zum Krematoriumsgebäude, und gibt den Blick auf dieses vom Eingang Strättligenstrasse etwas mehr frei. Im Zusammenhang mit der notwendigen Parkierung Besucher und Betrieb wird durch diese Setzung zudem die kleinstmögliche Fläche beansprucht; zugunsten eines grösstmöglichen Abstands zum Krematorium und freier Nutzung in diesem Bereich.
Landschaftlich sucht das Projekt gleichfalls nach Weiterführung der vorgefundenen Taxonomie: Die Figur der neuen Friedhofsperiphere wird wiederum mit einem dichten Baumkranz räumlich von der Umgebung getrennt – auch im Bereich der Strättlingerstrasse werden die Parkplätze so angeordnet, dass dies möglich ist. Der Fussgängerweg von der Strättligenstrasse zum Krematoriumsvorplatz wird zudem als zweite „Hauptallee“ gelesen und weist eine dementsprechend dichte Baumsetzung auf. Die beiden freigespielten Flächen nordöstlich des Krematoriums sowie zwischen den beiden neuen Baukörpern können je nach Bedarf beide mit Gräberfeldern belegt werden. Letztere kann aber auch kurz- oder längerfristig eine spezielle Nutzung erfahren; das Projekt schlägt in einer 1. Etappe eine Blumenwiese mit Frühlingsblühern vor.
Gestalt des Krematoriums – zeitgemässe, kohärente Symbolik
Aus architektonischer Sicht ist die Hauptherausforderung für die Gestalt eines Krematoriums eine kohärente und heutige Symbolik für den Gebäudetyp zu finden. War das Verhältnis von Ofentechnik zu öffentlichen Räumen wie Abdankungskapellen in den Anfängen der Feuerbestattung noch ausgeglichen zeigen heutige Krematorien durch ihre gestiegenen Anforderungen an Kapazität und Effizienz einen verstärkt industriellen Charakter – der öffentliche Raum ist meist auf ein Minimum reduziert (die neuen Krematorien werden vom originalen Abdankungshallenkomplex aus Platzgründe ausgelagert – wie hier der Fall – und stehen nachher isoliert). Trotz fordistischer Anforderungen bei der Abwicklung der Einäscherung ist ein Krematorium aber natürlich weiterhin ein sakraler Ort, dem eine tröstende Atmosphäre aneignen soll.
Dieser dichotomischen Ausgangslage versucht der vorliegende Entwurf mittels eines stillen, einfachen Baukörpers zu begegnen, der seine Kraft durch volumetrische Wohlproportioniertheit und archaische Materialwahl entwickelt: Die verschiedenen programmatischen Anforderungen werden so komponiert, dass ein kompakter ein- bis zweigeschossiger, skulpturaler Baukörper modelliert wird, der sich über seine feine Silhouette mit dem Himmel verzahnt. Die Kamine sind dabei in die skulpturale Abwicklung inkorporiert - sie treten als gemauerte Scheibe in Erscheinung, die dahinterliegende Technik wird weggeblendet.
Im Innern bestechen die Räume durch eine präzise Höhenentwicklung und differenzierte Belichtungen: Ein zweischichtiges Oberlichtsystem, das sich über den Dienstgang, die Aufbahrungsräume und den Besuchergang entwickelt, versorgt das tiefe Innere des Gebäudes mit angenehm diaphanem Himmelslicht. Die Angehörigenzone rund um die Aufbahrungs- und Sitzungszimmerräume stösst dabei zusätzlich direkt an die Fassade und bietet angenehme Weitblicke ins Alpenpanorama. Ofenvorraum, Ofenraum und Filterraum liegen ebenfalls direkt an der Fassade und werden über Schiebetürelemente mit Glasbausteinfüllungen diaphan-transzendierend belichtet. Aussen widerspiegeln sich in diesen tagsüber das Grün der Umgebung, nachts werden sie zu Leuchtflächen, die schattenhaft die Umrisse der Anlageteile in der Tiefe des Raumes preisgeben. Im Kultraum (Ofenvorraum) können nach Bedarf einzelne Flügel geöffnet werden, sodass ein direkter Aussenraumbezug möglich wird. Die Eingangshalle erstreckt sich in empfangender Geste über die gesamte Länge des Vorplatzes – die strukturellen Backsteinscheiben und die sich mit dem Aussenraum verzahnende Fassadenabwicklung (Angehörigenzone dito) schaffen dabei eine Halt-erzeugende Atmosphäre.
Insgesamt drücken die gewählten Figuren und Materialien symbolisch Geborgenheit, Schutz und Archaik aus – Assoziationen die in enger Verbindung zum Tod stehen.
Organisation
Die grösste Herausforderung des Programms stellt die lange Serie an Aufbahrungsräumen dar, die kleine Raumgrössen aufweisen und je zweiseitig bedienbar sein müssen. Es bietet sich an, diese lange Raumkette parallel zur Technikraumenfilade anzuordnen und den Besucherbereich mit den Sitzungszimmern zu kombinieren, um die erforderliche Längenentwicklung zu meistern. Dies führt zu einem öffentlichen Angehörigenbereich im Südwesten mit Blick auf Wiese und Alpenpanorama und einer öffentlichen Eingangshalle im Nordwesten mit Bezug zum Friedhof und Fussgängererschliessungen.
Die betriebsinterne Erschliessung und Anlieferung der Särge (EG) und die Administration/Aufenthalt (1.OG) erfolgen im Südosten des Gebäudes. Sarganlieferung und öffentlicher Eingang weisen dabei grösstmögliche Distanz auf. Sollte der Steuerungsraum Ofen (Admin. Krematorium) zu weit vom Ofenvorraum entfernt sein, wäre eine Rochade mit den der Eingangshalle angelagerten Nasszellen denkbar.
Der ganze technische Bereich entwickelt sich im EG im nordöstlichen Gebäudeteil und besetzt ein L-förmiges 1. UG. Die Rückkühler sind auf dem Dach im Administrationsbereich angeordnet. Zwecks Einbindung in die Dachflächengestaltung wird dieser gesamte Bereich optisch mit einem alle Komponenten zusammenfassenden Gitterrost überdeckt.
Tragwerk Krematorium
Das Tragwerk entspricht dem, was man sieht: Klinkerwände tragen Betondecken und das Gewicht der Betondecken stabilisiert die Klinkerwände. Grössere Öffnungen werden von vorfabrizierten profilierten Betonstürzen überspannt. Zur Stabilisierung gegen Erdbebeneinwirkung sind genügend Wandscheiben verfügbar; wesentlich sind je zwei längere öffnungslose Wände entlang der Längsfassaden, während in Querrichtung zwei, resp. drei Folgen von längeren Wandscheiben nahe der Schmalseiten einen hohen Widerstand auch gegen exzentrische drehende Einwirkungen bewirken. Die Wandscheiben in der Fassade besitzen eine günstige Länge: sie sind einerseits für die Stabilisierung ausreichend, benötigen andererseits aber noch keine Dilatationen. Dilatiert wird die Fassade in den sichtbaren Fugen an den Enden der Stürze, im Innern kann wegen der annähernd konstanten Temperaturen auf Dilatationsfugen verzichtet werden. Die Oblichtöffnungen werden allseitig von Betongurten eingefasst und stellen dadurch keine besonderen Probleme. Das Untergeschoss wird konventionell in Beton erstellt und flach gegründet
2. Etappe: Friedhofsunterhalt – Wirtschaftsgebäude
Das Friedhofsunterhaltgebäude wird als landwirtschaftliches Wirtschaftsgebäude interpretiert, das an die Barchessa-Typologie alter Villen im Veneto erinnert: Neben den Haupthäusern stehende, unabhängige Strukturen, oft mit Rundbogen Arkaden oder Portici ausgestattet - gedeckte Aussenräume, die ideal als Lagerhallen und/oder Werkzeugmagazine für die Landwirtschaft funktionieren. Wie die „Barchessa“, deren Raumordnung und Materialität sich an derjenigen der Villa orientiert, zeigt das Friedhofsunterhaltsgebäude räumlich und materiell eine ähnliche Grammatik wie das Krematorium: Es handelt sich also nicht um einen didaktisch abgesetzten, hierarchisch niederen, hölzernen Schuppen sondern zeigt sich als selbstbewusst gemauertes Gebäude, das einen adäquaten Abschluss/Auftakt zur Strättligenstrasse hin formuliert und Parkplätze/Erschliessung optisch wegblendet.
Der Grundriss ist zweigeteilt: In der nordwestlichen Hälfte werden die Administration, Werkstatt und Nebenräume untergebracht, in der südöstlichen Hälfte befinden sich die Fahrzeugeinstellhalle und das gedeckte Aussenraumlager in direkter Verbindung zum Aussenlagerbereich ganz im Süden. Dieses ist durch eine 1.8m hohe Mauer eingefriedet, die sich aus der Gebäudestruktur heraus entwickelt. Auf der Nordost- und auf der Südwest-Seite zeigen sich die Fassaden mit strukturellen Öffnungen, zur Aufnahme von Toren oder grossen Schiebetürverglasungen. Die beiden Stirnseiten sind geschlossene Backsteinmauern, die insbesondere im Nordosten als „wegleitende“ Wand funktionieren, die den Blick für den Fussgänger von der Strättligenstrasse her kommend auf das Krematorium zuführt.
Die gewählte Anordnung und Gebäudetypologie machen es möglich den „Werkplatz Friedhof“ und die Erschliessungsanlagen konfliktfrei auf engstem Raum zu kombinieren, sodass eine möglichst grosse Landreserve für Friedhofnutzungen resultiert.
Tragwerk Friedhofsunterhalt
Das Tragwerk des Wirtschaftsgebäudes entspricht weitgehend demjenigen des Krematoriums. An den Schmalseiten sind lange Wandscheiben in günstiger Lage angeordnet. In Längsrichtung steift vor allem die lange Scheibe zwischen Garage und Aussenfläche aus, ihre leichte Exzentrizität erzeugt drehende Einwirkungen, die über die beiden weit auseinander liegenden Schmalseiten problemlos aufgenommen werden können. Die gemauerten Pfeiler, die grössere Auflagerkräfte der Decke aufzunehmen haben, erhalten einen Kern aus Stahlbeton.
Krematorium Thun
Wettbewerb 2015
Architektin:
Aita Flury
Ingenieure:
Conzett Bronzini Partner AG
Landschaftsarchitekten:
manoa Landschaftsarchitekten
Eglise Notre-Dame du Raincy, Auguste Perret 1923