T’AN YU
Die Erzeugung einer adäquaten Atmosphäre für das geforderte Programm mit all seinen Rahmenbedingungen und in einem kulturell fremden Kontext verlangt nach räumlichen Antworten auf folgende Fragen:
Wie kann eine Atmosphäre in der Anlage erreicht werden, die gleichzeitig das Programm - die Botschaft -, das eigene Land - die Schweiz -, und das Gastgeberland – China – widerspiegelt?
Welche Anteile werden Tradition und Innovation zugesprochen und in welchem Verwandtschaftsgrad zum Kontext (Residenz) stehen die neuen Bauten?
Wie können die vorgegebenen Funktionen mit hohen Sicherheitsanforderungen mit einer zeitgemässen, offenen „workspace-Kultur“ vereinbart werden?
Mit welchen architektonischen Mitteln wird bescheidene und diskrete Repräsentation erreicht?
Inwiefern wirkt die chinesische Baukultur auf die Setzung der neuen Aussenräume ein?
In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen wurde die (über einem klassischen Moon-Gate entdeckte) Inschrift T’AN YU - Auf der Suche nach dem Geheimnisvollen - zum Leitmotiv für den Entwurf: Das Projekt versucht verschiedene elementare, räumliche Aspekte aus beiden Kulturen so miteinander zu verweben, dass sich diese in geheimnisvoller Kombination gegenseitig transformieren und eine Stimmung etabliert wird, die einzig diesem Programm an diesem Ort zuschreibbar wird.
Situation
Der traditionelle chinesische Garten ist nicht ein einziger, offener Raum, sondern wird meist von einer Unterteilung in unterschiedliche Höfe und Korridore bestimmt: Er ist weniger von den Pflanzungen selber dominiert, als vielmehr durch die Gebäude, deren Setzungen die einzelnen Räume definieren. In Kontrast dazu werden die einzelnen Räume mit wunderbar informellen, verspielten und irrationalen Elementen ausgestattet, die eine unverkennbare Stimmung erzeugen.
Die neue Setzung generiert sich aus genau diesen Themen: Das Programm wird auf drei neue Baukörper verteilt, die zusammen mit der Residenz und dem Wintergarten das Gelände in unterschiedliche, hofartige Aussenräume mit verschiedenen Atmosphären zonieren. Alt- und Neu werden dabei zu einer nicht auseinander dividierbaren Komposition verschmolzen.
VISA-HOF
LOTUS-WASSERHOF
REPRÄSENTATIONSHOF
EINGANGSHOF
RESIDENZ VORFAHRT HOF
RESIDENZ ANLIEFERUNG HOF
Grössen- und Geschlossenheitsgrade variieren dabei erheblich und sind auf die jeweiligen Funktionen abgestimmt. Ebenso die Ausstattung - die „Infrastrukturhöfe“ (4,5,6) bleiben geometrischer und rationaler, während die repräsentativen Höfe (1,2,3) durch eine Vielfalt an freieren Elementen (Windungen, Verweilmomente, Wasser, Felsskulpturen besondere Pflanzungen etc.) aufgeladen werden. Partiell (1, 2) zeigen die Höfe eine innenraumähnliche Stimmung - ein ebenfalls typisches Moment des chinesischen Gartens.
Alle Gebäude sind 1- bis max. 2-geschossig. Das neue Hauptgebäude überragt als höchstes Gebäude die Residenz leicht und wird zum peripheren Schwerpunkt der Anlage.
Fassaden und Material
Die Materialisierung und Fügungsprinzipien der bestehenden Residenz aus Backsteinscheiben und vorgefertigten Betonelementen ist einerseits universaler Zeitzeuge der 1970-er Jahre. Der gebrannte Ton referiert dabei sowohl auf traditionelle chinesische Konstruktionen, als auch auf Schweizer Baukultur. In der Absicht die Anlage weiter zu bauen und die bestehenden Gebäude integral einzubinden, werden auch die neuen Bauten aus dem Thema Backstein/vorfabrizierter Beton heraus entwickelt.
Im Gegensatz zur Residenz wird für das neue zweigeschossige Hauptgebäude eine Vertikalisierung der Fassaden angestrebt. Um eine bürokonforme Fassadenstruktur zu etablieren werden einerseits stärker geöffnete Hauptfassaden und andererseits bei den Seitenfassaden komplett befensterte Abschnitte definiert, die eine optimale Belichtung gewährleisten. Der Backstein taucht dann – je nach Bedeutung der Fassade – als Lisene oder als vollflächige Wand auf. Die Wandelemente werden dabei auch zum verbindenden Element zu den eingeschossigen Backstein-Mauern, die teils neu und teils bestehend sind. Wohnhaus und Wächterhaus werden vollflächig aus Backsteinwänden mit präzise gesetzten Lochfenstern entwickelt.
Die runden Fensteröffnungen, die auf die traditionellen chinesischen Moon-Gates anspielen, werden eingesetzt, um besondere Situationen auszuzeichnen – so z.B. beim Eingangsgebäude (Wächterhaus/Suisse Tourisme), wo der Übertritt in die Anlage stattfindet, oder aber - wie traditionell - als orientierende Verbindungselemente zwischen den verschiedenen Höfen.
Die runden Befensterungen dienen zudem im Lotus-Hof zur Steigerung der Raumatmosphäre innen und aussen: sie verweisen auf spezielle Nutzungen im Innern – Kommunikationszonen/Cafeteria - und verhelfen diesen innenräumlich zu einer sedierten Stimmung, die das Serielle des Bürorasters weich kontrastiert.
Innere Organisation: Flexible Loft
Das Hauptgebäude ist um den grosszügigen Lotus-Wasserhof herum organisiert. Der Hoftyp ermöglicht eine ideale Organisation der verschiedenen, in sich funktionierenden Sektionen unter Einhaltung aller Anforderungen an Zugänge und Sicherheitsfunktionen. Trotz des segmentierten Raumprogramms stehen die einzelnen Abteilungen über den Hof in Sichtkontakt miteinander und das Gebäude kann sowohl im EG als auch im 1.OG in kreisender Bewegung erfahren werden. Die Zirkulationsebenen werden in allen Geschossen so gewählt, dass abwechslungsreiche Raumfolgen entstehen, die das Gebäude unterschiedlich erlebbar werden lassen.
Ein hallenartiges, im Gebäudeinnern praktisch stützenloses Tragwerk etabliert eine loftartige Struktur, die durch ihre grosse Raumhöhe und Flexibilität überzeugt und nach Bedarf aus- oder umgebaut werden kann. Die nichttragenden Trennwände bestehen aus Akustikklinkern, die den Schallschutz gewährleisten – im Bereich der Fassade erfahren die Räume durch Glasbausteinelemente eine zusätzliche optische Aufweitung.
Tragwerk
Das Hauptgebäude wird in Nord-Süd Richtung in drei gleiche Felder unterteilt, die der Hofgeometrie Folge leisten und jeweils eine Spannweite von 12.5m aufweisen. In Ost-West Richtung wird den Fassaden entlang ein dichter Stützenabstand von 2.5m – Büroraster - etabliert. Diese hallenartige Struktur, die sich bis ins UG zieht, ermöglicht durch ihre sehr grossen, stützenfreien Felder ein Maximum an Flexibilität und bildet die statisch und optisch robuste Basis für eine loftartige Atmosphäre.
Das Tragwerk wird dabei aus einer Kombination von wenigen, vorfabrizierten Betonteilen entwickelt: Mächtige Längsträger liegen auf schlanken Stützen auf, darüber spannen dünne Deckenplatten in Querrichtung.
Die Deckenträger aller Geschosse tragen als einfache oder durchlaufende Balken. An verschiedenen Stellen im Gebäudeinneren lagern diese auf rechtwinklig dazu verlaufenden Abfangträgern. Hier werden die Längsträger in der Art eines Gerberträgers gestossen, um die Breite des Abfangträgers gering zu halten. Zwischen den nach den Trägern versetzten Deckenplatten stehen Anschlussbewehrungen nach oben vor, sodass Abfang- und Deckenträger im Endzustand mit dem Überbeton kraftschlüssig verbunden sind. Dadurch entfalten die Träger als teilweise durchlaufende T-Querschnitte ihre volle Tragfähigkeit.
Die Wände und Bodenplatte des 1.UGs sind in Ortbeton erstellt und bilden eine sogenannte „steife Kiste“. Zur Stabilisierung gegen Erdbeben und Windeinwirkungen dienen die im UG eingespannten Treppenkerne zusammen mit den Decken, die durch den vor Ort gegossenen Überbeton zu steifen Scheiben zusammengefasst sind.
Die vorfabrizierten Stützen wirken statisch wie Pendelstützen, sie werden deshalb auf einfache Art mit an der unteren Stirnfläche eingeschraubten Bewehrungseisen in zylinderförmige Aussparungen (Ripprohre) der UG-Wände gesteckt und mit Zentrierdornen exakt platziert. Die Fuge zwischen OK Ortbeton und UK Stütze wird anschliessend mit einem Fliessmörtel vergossen, der gleichzeitig die Zwischenräume von Anschlussbewehrung und Ripprohr füllt; damit lassen sich aufwändige Köcherfundamente vermeiden. In ähnlicher Form werden die Verbindungen zwischen den Stützen und den darauf liegenden Trägern ausgebildet, nur tritt hier an die Stelle des Fliessmörtels ein Kleber.
CH-Botschaft Peking
Wettbewerb 2018
Architektin:
Aita Flury
Ingenieure:
Conzett Bronzini Partner AG
Landschaftsarchitekten:
Müller Illien
Landschaftsarchitekten GmbH
Moongate
Chinese houses and gardens, 1950