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Zentrum für Menschen mit Behinderung Glarnersteg, Schwanden

 

Situation

Die Halbinsel zwischen den beiden Flussläufen der Linth und Sernf bietet als Planungsperimeter für das neue Zentrum für Menschen mit Behinderung eine spezielle Ausgangslage: auf dem vom Wasser umspülten Sporn sind heterogene Architekturen versammelt, welche vom Gebäude J durch seine Höhe und Querstellung dominiert werden. Zusammen mit einem orthogonal angebauten Gebäude bildet das Gebäude J heute eine Winkelfigur, die das Landknie in einen vorderen und einen hinteren Bereich teilt: hinten im Süden drängen sich dicht gereihte Volumen aneinander, vorne im Norden breitet sich zum Wasser hin eine grüne Wiese und offene Weite aus. Insgesamt ist die Atmosphäre geprägt von einer gewissen Rauheit und industriellen Direktheit, die aus der ursprünglichen Nutzung hervorgeht. Die neue Nutzung des ehemaligen Industrieareals zu Wohn- und Arbeitszwecken für Menschen mit Behinderung verlangt prioritär die Schaffung von halbprivaten, wohnlichen Aussenräumen mit dem Ziel einen „Anlagecharakter“ zu etablieren.

 

Der Projektvorschlag sieht deshalb vor ein neues winkelförmiges Gebäude wie ein Passstück so in die bestehende Situation einzuschreiben, dass Neu- und Altbau zusammen eine halboffene Hofsituation generieren. Der Hof, der zwischen dem neuen zweigeschossigen Wohnhaus und dem wuchtigen Altbau (=Werkhaus) aufgespannt wird, ist gleichzeitig Empfangsgeste für die Ankommenden als auch nach Westen ausgerichteter halbprivater Aussenraum für die Bewohner. An diesem halboffenen Hof liegen die Eingänge zum Wohn- als auch zum Werkhaus, hier sind die öffentlichen Nutzungen angelagert, hier ist der Treff- und Angelpunkt des neuen Ensembles. Dieser begrünte und mit Bäumen bepflanzte Aussenraum garantiert eine adäquate Geschütztheit und ist gleichzeitig offen genug um sich landschaftsräumlich mit der vor dem Haus liegenden begrünten Wasserkante zu verbinden.

 

Die neue Setzung zeigt sich vom gegenüberliegenden Ufer als logische Weiterentwicklung der bestehenden Gebäudevolumen. Durch die Zweigeschossigkeit des Neubaus bleibt der Altbau weiterhin als sichtbares Wahrzeichen des Areals von Weitem erfahrbar. Mittels einer leicht horizontalen Staffelung des neuen Baukörpers verzahnt sich dieser sowohl mit dem landschaftsräumlichen als auch mit dem baulichen Kontext. Die nach Aussen gelegten Bewohnerzimmer werden auch abends den Eindruck der Belebtheit vermitteln, und somit die Etablierung der neuen Wohnnutzung auf dem Areal nach Aussen ausstrahlen.

 

Neubau - Wohnhaus

Die winkelförmige Geometrie des neuen Wohnhauses ermöglicht die paarweise Organisation der vier Wohngruppen in den zwei Flügeln. Das gesamte Haus wird über ein zentrales Treppenhaus erschlossen (Nottreppen aussen an den Flügelenden!) und die einzelnen Gruppen sind jeweils wohnungsartig organisiert. Die Raumschichten entlang der Hofffassaden enthalten die öffentlichen Räume wie Wohn- und Aufenthaltsraum (inkl. Terrassen), Allzweckraum sowie die Dienst- und Teamleiterzimmer. Die Befensterung zum Hof ist grosszügig offen, die Räume profitieren von der Süd- und Westausrichtung und, in adäquater Distanz von den Sichtbeziehungen zum Werkhaus.

 

Die Bewohnerzimmer liegen in der äusseren Abwicklung mit Blick auf das Wasser und vom Werkhaus abgewendet, sodass sie trotz der Platzierung im Erdgeschoss eine gewisse Privatsphäre haben. Sie weisen ebenfalls eine grosszügige Befensterung auf, die sich aber von der Hoffassade insofern unterscheidet, als dass Brüstungselemente die Intimsphäre wahren.

 

Die Enden und Eckpunkte des Gebäudes werden durch Balkonelemente betont: Nebst den geforderten Aussenräumen pro Wohngruppe wird ein dritter Balkon mit Blick auf den Fluss eingeführt, der von zwei Wohngruppen jeweils gemeinsam genutzt werden kann.

 

Die Fassaden des Neubaus suchen insgesamt nach einer mit dem Altbau in Verbindung tretenden Sprache. Die Vertikalisierung des Altbaus durch das vorgestellte Betontragwerk, das als Lisenen in Erscheinung tritt, als auch die paarweise Anordnung der Fenster sind elementare Eigenschaften, die im Neubau wieder eingeführt und neu interpretiert werden.

 

Die erforderliche Tiefgarage wird unter dem Ostflügel des Neubaus platziert. Sie ist über das zentrale Treppenhaus direkt an das Wohnhaus angebunden, über eine südliche Aussentreppe kann zudem das Hofniveau in unmittelbarer Nähe zum Eingang des Werkhauses erreicht werden.

 

 

Etappierung

Sollte eine Etappierung nötig sein wird in einem ersten Schritt das neue Wohnhaus erstellt, inklusive Tiefgarage und mit eigenen Technikräumen im Keller. Die Cafeteria wird als Provisorium im Erdgeschoss des Altbaus eingerichtet.

 

In einem zweiten Schritt wird der Altbau saniert (evt. vorübergehende Auslagerung der Cafeteria in umliegende Liegenschaften oder vorübergehende Beschränkung des Kochens/Essens in den Wohngruppen). Der Altbau weist autonome Technikräume auf.

 

Altbau - Werkhaus

Das Gebäude J, ehemaliges Industrie- und heute Gewerbegebäude, soll seine Funktion als „Werkhaus“ beibehalten: In den Obergeschossen werden alle Nutzungen untergebracht, die der Beschäftigung und Betreibung dienen, der Kopfbereich des Längsbaus wird traditionell der Verwaltung zugesprochen. Im Erdgeschoss aktivieren die öffentlichen Nutzungen der Cafeteria, des Empfangs und des Ladens den Hof. Ein neues Gebäudeteil wird im Erdgeschoss so mit dem Altbau verschliffen, dass dieser sich besser mit der neuen Hofanlage verzahnt: Der Anbau beinhaltet den Laden und das kleine Empfangsfoyer und zieht durch seine Position und Artikulation die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich, gibt dem Haus eine Adresse.

 

Das Erdgeschoss zeigt heute eine diffuse Raumeinteilung und erfährt deshalb am meisten Veränderungen: Nebst der neuen, grosszügigen Befensterung der Cafeteria, die den direkten Aussenraumbezug herstellt und im Dialog mit dem Neubau steht, soll die Pilzstützenstruktur, die heute vor allem noch im östlichen Teil des Erdgeschosses vorhanden ist, auch für die neue Cafeteria rekonstruiert werden.

 

Insgesamt zielt das Projekt darauf ab, die innere Neuorganisation in direkter Adhäsion an die bestehende Substanz einzulösen. Die räumlichen Einteilungen, die das heutige Programm fordert, werden den imposanten Strukturen des Längsbaus mit seinen stützenfreien Drucksälen so überlagert, dass die Zeiten miteinander verschliffen werden und eine Mehrfachlesbarkeit etabliert wird: Anstelle einer didaktischen Bruchkante zwischen Alt- und Neu entsteht ein neues Ganzes, das neue und alte Bauteile paritätisch miteinander verschleift, dabei aber die typologischen Grundstrukturen des Gebäudes respektiert.

 

Die beschriebene Strategie gewährleistet, dass das Gebäude nicht an Robustheit verliert und gleichzeitig eine innere Flexibilität möglich ist: Der in den Obergeschossen eingeführte Mittelkorridor aus Glasbausteinen erschliesst zwei gleichwertige Raumschichten, deren Unterteilung dem heutigen Programm entspricht, die aber bei veränderten Bedürfnissen einfach angepasst werden kann. Die Räume selber sind jeweils so organisiert, dass ein dem Gang angelagerter Bereich die notwendigen Einbauten oder Schrankelemente in Querrichtung (Durchlässigkeit der Belichtung bei Nord-Südausrichtung!) aufnehmen kann, sodass der Fensterbereich von Einbauten frei bleibt. Dies trägt dem Aspekt Rechnung, dass die Befensterung der heutigen Säle auf Einraumtypologien aufbaut.

 

Die Deckenlandschaft mit den gevouteten Rahmenträgern wird neu interpretiert: Über dem Mittelkorridor wird die Decke abgehängt: Träger und Installationskanal wachsen räumlich zu einer „Flügelfigur“ zusammen und eine optimale haustechnische Erschliessung ist gewährleistet.

 

Konstruktion Altbau

Das Gebäude wird insgesamt innen gedämmt um die charakteristisch plastischen Fassaden halten zu können. Die Typologie der Befensterung wird beibehalten und durch neue wärmegedämmte Holz- Metallfenster energetisch saniert.

 

Die Materialisierung orientiert sich allgemein am industriellen Habitus des Bestandes: Glasbausteinwände zu den Korridoren werden kombiniert mit Naturasphaltplatten und Einbauschränken aus MDF gestrichen. Insgesamt herrscht eine robuste und handwerkliche Atmosphäre.

 

Konstruktion Neubau

Dem Anspruch nach Nachhaltigkeit und Ökologie wird beim Neubau mit der konsequenten Trennung der inneren und äusseren Schale und mit einer nachhaltigen und ökologisch vorteilhaften Materialisierung Rechnung getragen. Bei den vertikalen Fassadenelementen des Neubaus handelt es sich um vorfabrizierte Trasskalkelemente. Trasskalk wurde als Material bereits von den Römern verwendet; die Elemente werden heute gleich wie Betonelemente hergestellt und auch auf die gleiche Weise versetzt. Da Trassmehl als Bindemittel keine thermische Herstellenergie benötigt, macht sich die Verwendung auch in der Berechnung des Primärenergiebedarfs positiv bemerkbar. Nebst diesem ökologischen Vorteil einer tieferen Herstellungsenergie erzeugt das lebendige und haptische Äussere der Elemente eine sinnliche, taktile und halterzeugende Atmosphäre, die gerade in dieser „rauen“ Umgebung für ein Wohngebäude wichtig ist. Die horizontalen Elemente der Zimmerseitenfassaden bestehen aus Recyclingbeton und schaffen räumlich den Zusammenhang zum aussenliegenden Betontragwerk des Altbaus.

 

Der Fassadenaufbau mit Dämmung, Hinterlüftung und vorgehängten Recyclingbeton- und Trasskalkelementen entspricht grundsätzlich einem erprobten System. Über sämtliche Fassadenteile wird darauf geachtet, dass diese einen optimalen Wärme- und Schallschutz bieten, rückbau- und wieder verwertbar sind, nicht brennbar und dauerhaft im Alterungsverhalten sind. Auch kann die Aussenhülle hohen mechanischen Beanspruchungen standhalten. Die Verwendung von hochwertiger Wärmedämmung, Holzmetallfenster mit Dreifachisolierverglasung und aussenliegenden Stoffsonnenstoren sowie eine konsequente Trennung von innerer und äusserer Hülle garantieren die erforderlichen U-Werte.

 

In den Innenräumen ermöglichen Glasbausteinwände entlang der öffentlichen Räume die natürliche Belichtung der Mittelzone des Hauses. Natürliche Materialien wie Holz für Türen, Schrankelemente und Böden sowie Klinker für Nasszellenböden und verputzte Wände sorgen für eine wohnliche Atmosphäre.

 

Zentrum für Menschen mit Behinderung Glarnersteg

Wettbewerb

Schwanden 2011

 

Architekten:

Aita Flury, Roger Boltshauser


Landschaftsarchitekten:

Mettler Landschaftsarchitektur