Würdigung
Original
Das von Johannes Kunkeler 1877 erbaute Gebäude war auf zwei paritätische Nutzungen als Naturmuseum und Kunstmuseum angelegt. Die originale Gebäudedisposition basiert auf der Idee zwei jeweils in sich funktionierende Raumfolgen auf zwei Geschossen anzubieten (EG= Naturausstellung, 1.OG=Kunstausstellung): darauf gründet die Anordnung von Eingang, Foyer und Treppe im westlichen Quertrakt, die zwei jeweils in sich geschlossene Rundgänge ohne störende Unterbrechungen oder Engpässe ermöglicht. Ein mittiger Eingang auf der Längsfassade hätte diese Idee verunmöglicht. So steht das Gebäude als Längsbau zwar schlossartig zum Park, wird aber über die Seite erschlossen – eine Gebäudedisposition, deren Vor-Bild in der alten Pinakothek Von Leo von Klenze in München liegt.
Die Grundrisse bestechen durch die jeweils geschossweise, auf die Nutzung abgestimmte Interpretation: Im Natur-Erdgeschoss handelte es sich um eine additive Anordnung von Raumzellen, die sich an einer mittigen Mauerscheibe (Leitplanke) aufreihen, im Kunst-Obergeschoss hingegen sind die Räume diversifiziert und hierarchisch organisiert, mit dem Oberlichtsaal als Hauptraum. Der westliche Querflügel diente im EG als Eingang und im 1. OG als Vestibul, beide Räume - zusammen mit der Haupttreppe - sind geprägt von einer reichen Oberflächengestaltung. Der östliche Querflügel war geschossweise der jeweiligen Ausstellungsnutzung zugeschlagen und war atmosphärisch Teil der dezent gehaltenen Ausstellungsräume.
Umbau 1987
Mit dem Umbau von 1987 wurde die Ausstellungsfläche für das Naturmuseum mehr als verdoppelt, indem das 1. UG zu einem Vollgeschoss ausgebaut und mit zwei in das Terrain ausgreifenden, kreissegmentartigen Anbauten symmetrisch erweitert wurde. Ziel der formalgestischen Anbauten war das Erreichen einer räumlichen Durchlässigkeit von Untergeschoss und Park. Dafür wurden auf der südlichen Parkseite massive Geländemoduierungen (Abtiefung) in Kauf genommen. Die Anbauten respektieren aber die symmetrische Grundanlage des Gebäudes.
Die neue innere Erschliessung von EG und 1. UG erfolgt über eine zur Grundstruktur schiefwinkling gesetzten, azentrischen Rampe. Diese hierarchisiert die ursprünglich symmetrische Grunddisposition neu und sprengt im Erdgeschoss die ursprüngliche Zellenstruktur. Der Osttrakt wurde zudem komplett ausgehöhlt und alle drei Geschosse über eine neu eingestellte Stahlrahmen- und treppen-Skulptur miteinander verknüpft.
Der zeittypische, spätmoderne Eingriff hat das Gebäude innerlich und äusserlich im Wesen stark verändert.
Das neue Projekt 2011
Permanenz und Metamorphosen
Die neue Absicht das Haus einer einzigen Nutzungen als Kunstmuseum zuzuführen eröffnet die Chance die Baugeschichte von inneren und äusseren Modifikationen des Gebäudes so weiterzuschreiben, dass die elementaren, konstituierenden Eigenschaften des Originalzustandes wieder herausgeschält werden und ihre Überlagerung mit den Eingriffen der 80-er Jahre neu interpretiert wird.
Wesensbestimmende, originale Elemente
1. Die undramatisch additive Gliederung des Baukörpers, mit mittig akzentuierter Längsfassade und westlicher Seitenfasssade als niederschwellige Haupteingangsfassade ist konstituierend und soll von Aussen weiterhin den Ausdruck des Gebäudes prägen. Der Eingang an bestehender Stelle ist auch aus heutige städtebaulicher Sicht richtig (Zusammenhang der Eingänge Tonhalle, Theater, Historisches Museum).
2. Das Gebäude steht als Längsbau schlossartig am Park und es steht „auf der Erde“.
3. Die originalen Raumstrukturen des EGs und des 1. OGs sind konstituierend, ebenfalls die originalen Orte der Erschliessung(en) in den Quertrakten.
4. Die materiell verdichteten Atmosphären des westlichen Quertrakts kombiniert mit den dezenteren, neutral gehaltenen Ausstellungsräumen ist wesentlich.
Prägende Eingriffe aus den 80-er Jahren
1. Die zwei symmetrisch gesetzten Anbauten, die unterirdisch ins Terrain ausgreifen entsprechen in ihrer Positionierung der originalen Gesamtgebäudelogik. Die Absicht, das Gebäude über diese Anbauten mit ihrer Umgebung zu verzahnen (Scharnierfunktion) ist nachvollziehbar.
2. Der Versuch das Untergeschoss über eine Auflösung der Zellenstruktur des Erdgeschosses grosszügiger zu gestalten ist nachvollziehbar.
Alt – Neu: Interpretationen 2011
Die obigen Prämissen versucht der Entwurf – in einem atmosphärisch–räumlichen Zugang auf die neuen programmatischen Herausforderungen hin zu interpretieren. Das Haus gewinnt wieder an Kraft, die Spuren seiner Geschichte werden nicht komplett gelöscht, sondern die Zeitschichten miteinander verschliffen. Die Eingriffe variieren zwischen almost nothing und almost everything.
1. Die Bodenplatte des UGs wird auf das Niveau der Seitenschiffe abgetieft, um eine für eine Kunstausstellung adäquate Raumhöhe (inkl. Lichtdecke) zu gewährleisten. Die originale Grundrissstruktur von 1.OG und EG wird im 1. UG durch die Reduktion der Tragstruktur auf die drei Hauptkammerungen des Mittelbaus (3 grosse, stützenfreie Räume) komplettiert. Diese grosszügige Disposition erlaubt eine Veränderung der Nutzungen zu einem späteren Zeitpunkt; mittels nichttragender Wände können die Räume auf einfache Weise in ideale, kleinere Ausstellungsräume (Kabinette) umfunktioniert werden (vgl. Rundgangschemas). Das Tragwerk baut auf der Kassettendeckenlogik der 80-er Jahre auf, wird aber so verstärkt, dass sinnvolle Ausstellungsraumgrössen möglich werden (vgl. Statikschemas).
2. Die zwei segmentartigen Seitenschiffe im 1.UG aus den 80-er Jahren werden zu linsenförmigen Räumen – Broschen – uminterpretiert. Sie werden dadurch besser nutzbar und verdichten sich, durch die eigenwillige, aus dem Bestand abgeleitete Geometrie, zu stillen, kontemplativen Orten mit je eigenem Charakter. Die Räume unterscheiden sich atmosphärisch stark von den heutigen Seitenschiffen, sind aber in der vorliegenden Form nur als ihre Weiterinterpretation erklärbar. Durch die Ausgestaltung der Decken mit Lichtkanonen (Brosche Nord) und einer zweilagigen Glasbausteindecke (Brosche Süd) wird das UG mit dem Aussenraum verbunden. Über der Erde werden die Broschen zu Terrassen, die auf Sockelhöhe ins Terrain ausgreifen – der Sockel des Hauses greift so in den Umraum aus, das Haus selber steht aber optisch wieder „auf der Erde“.
3. Das Foyer West im 1.UG wird in der Tradition des materiell dichten westlichen Quertraktes weitergedacht.
Der östliche Quertrakt dient, wie in seiner ursprünglichen Disposition, gleichzeitig als Erschliessungs- als auch als Ausstellungraum. In jedem Geschoss dienen Stützen der Zonierung des Traktes – im EG und im 1.OG laden die als Spolien verwendeten Doppelstahlstützen aus dem EG (Vgl. Rundgang+Nutzungsschemas) die Atmosphäre zusätzlich auf. Das EG und das 1.OG sind zudem über einen zweigeschossigen Luftraum miteinander verbunden.
4. Alle Nebenräume und Erschliessungen sind in den 4 Eckkammern der Querflügel untergebracht.
Organisation, Nutzung und Rundgang
Die Sammlung und die Wechselausstellung werden in einer sinnvollen Abfolge organisiert, sodass die Sammlung die unteren zwei Geschosse belegt und die Wechselausstellung im 1. OG angesiedelt ist.
Mit dem Kunstgriff den grossen Vortragsraum im EG anzuordnen wird es möglich im 1. UG eine reine Ausstellungswelt zu konzipieren. Die Anforderung der Stützenfreiheit beim Vortragsraum wird über eine Stahlfachwerk-Abfangung der dachtragenden Holzständerwände gelöst (vgl. Statikbericht). Die Anordnung von Vortragsraum und Lounge im Erdgeschoss mit direkten Ausgängen auf die Terrassen der „Broschen“ verbinden das Museum auf neue Weise mit dem Aussenraum. Diese können für besondere Anlässe genutzt werden (z.B. Nacht der Museen) oder im Sommer auch als Café; die nördliche Terrasse funktioniert zudem als separater Zugang und als Fluchtweg für den Vortragssaal.
Die 3 Foyers befinden sich je Geschoss im östlichen Quertrakt. Die drei Kammerungen des mittleren Längsbaus zusammen mit den Broschen im UG nehmen alle Ausstellungsräume und Spezialräume wie Lounge oder Vortragssaal auf. Der westliche Quertrakt ist als Vermittlungsraum (halb Erschliessung halb Ausstellung) ausgebildet und beherbergt eine zweite Vertikalerschliessung, die einen kontinuierlichen Rundgang ermöglicht.
Für den Besucher der Sammlung beginnt der Rundgang im EG Foyer West, wo er nach dem Ticketkauf und Deponierung der Garderobe über die Haupttreppe ins 1. UG hinuntersteigt. Dort beginnt der Ausstellungsrundgang durch die Sammlung. Die Flächen können durch die geschickte Reduktion der Statik in grössere oder kleinere Räume (Kabinette) eingeteilt sein. Der Ausstellungsbereich zeigt damit eine hohe Flexibilität, ist aber gleichzeitig bestimmt und orientierungsfreundlich. Die beiden Broschen bieten überraschende Raumerlebnisse. Im östlichen Quertrakt steigt der Besucher ins EG auf um nach Westen durchs Haus zurückzugehen, wo die restliche Sammlung inkl. Loungebereich untergebracht ist. Der mittlere Längstrakt beherbergt zudem den stützenfreien Vortragssaal (dieser ist zusätzlich über den Shop/Caferaum erschlossen). Vortragssaal und Lounge haben einen direkten Ausgang auf die Broschenterrassen - die totale Isoliertheit des Inneren vom Äusseren wird aufgehoben und das Museum verzahnt sich an dieser Stelle mit dem Park.
Der Besucher der Wechselausstellung beginnt den Rundgang ebenfalls im Foyer West EG und steigt über die Haupttreppe ins Vestibül des 1. OG auf. Alle daran anschliessenden Räume der mittleren Längstrakte und des östlichen Quertrakts dienen der Wechselausstellung und bleiben in ihrem Wesen unverändert. Durch eine Zweigeschossigkeit in der Mitte des östlichen Quertraktes entsteht zudem ein Bezug zwischen 1. OG und EG, Wechselausstellung und Sammlung. Die Stimmung in diesem Trakt wird zusätzlich durch die als Spolien verwendeten Stahlstützen aus dem EG aufgeladen.
Lichtkonzept
Allgemeines zur Entwurfsplanung Beleuchtung
Die Lichtplanung ist integrativer Bestandteil der Architektur, in der die Wirkung von Licht und weniger die formale Ausprägung von Leuchten im Vordergrund steht. Die Verbindung von Funktionalität, Energieeffizienz, Ästhetik und ganzheitlich architektonisch integrierter Lichtführung ist oberstes Ziel des Konzepts. Die zur Anwendung kommenden Lampen und Leuchten werden ihrem Typ nach so ausgewählt, dass die Forderungen nach optimiertem Wirkungsgrad, langer Lebensdauer und hochwertiger Lichtqualität erfüllt werden. Es werden grundsätzlich elektronische Vorschaltgeräte, gegebenenfalls mit DALI-Steuerung, eingesetzt. Teile der Beleuchtung können durch zusätzliche Leuchtmittel oder mittels Umschaltbausteine in die Sicherheitsbeleuchtung einbezogen werden.
Ausstellungsbereiche
Für die museal genutzten Bereiche werden Lichtelemente geschaffen, welche die Möglichkeit einer Grund- und gleichzeitig Akzentbeleuchtung bieten. Eine Kombination aus Lichtdecken und Stromschienen mit adaptierbaren LED-Strahlern höchster Farbwiedergabequaliät ist das geeignete Mittel, um bestes Licht für die unterschiedlichen Raumbereiche und Kunstobjekte zu erzielen und auf möglichst viele Ausstellungsnutzungen reagieren zu können.
Die vorgesehenen Spannlichtdecken in B1-Qualität kommen, anders als konventionelle Glaslichtdecken, ohne kleinteilige sichtbare Rahmenkonstruktionen aus. In den Räumen der Dauerausstellung füllen sie die Flächen zwischen den Unterzügen. 3-Phasen-Stromschienen sind zwischen den Lichtdeckenfeldern angeordnet. Sie tragen bei Bedarf LED-Strahler, die mit verschiedenen Lichttechniken ausgestattet werden können. Das erzeugte gerichtete Licht akzentuiert die Ausstellungsobjekte oder blendet Wandflächen ein. Die Dimmbarkeit der LED-Strahler erlaubt auch eine optimale Beleuchtung lichtempfindlicher Exponate. Dank der LED-Technologie ist beim Dimmen keine Farbverschiebung zu erwarten.
Der große zentrale Ausstellungsraum im Obergeschoss verfügt über eine kassettierte Tages- und Kunstlichtdecke, deren Glasplatten durch leichtere satinierte PETG-Paneele in B1-Qualität ersetzt werden, um neben den hohen lichttechnischen und gestalterischen Anforderungen auch den aktuellen Brandschutzanforderungen gerecht zu werden. Im Deckenhohlraum befinden sich dimmbare Reflektor-Lichtleisten mit Leuchtmitteln höchster Farbwiedergabequalität.
Sämtliche Lichtleisten zur Hinterleuchtung der Spannlichtdecken und der Paneel-Decke sind mit Leuchtstofflampen höchster Farbwiedergabestufe ausgestattet.
Neubau Brosche Nord
Der hauptsächlich für die Ausstellung von Skulpturen vorgesehene Galerieraum wird über zwei kreisrunde verglaste Oberlichter mit Tageslicht versorgt. Im Falle zu hoher Aussenbeleuchtungsstärke, direkten Sonneneinfalls oder entsprechender Nutzungsanforderungen kann raumseitig ein Verminderungsbehang oder eine Verdunklung vor die Verglasung des Oberlichts gefahren werden. Die Oberlichter lassen bei geöffneter Verminderungsanlage den Blick auf die Altbaufassade zu.
Um die solide Anmutung der Sichtbetondecke nicht durch Einbauten zu beeinträchtigen, sind parallel zu den gebogenen Wandflächen punktuell LED-Strahler von der Decke abgesetzt.
Neubau Brosche Süd
Die Decke der südlichen Galerie wird komplett als Spannlichtdecke ausgeführt. Auch hier sind die Fugen zwischen den Feldern mit Stromschienen ausgestattet, um mit LED-Strahlern Kunstwerke flexibel ausleuchten zu können.
Die äußere Hülle ist gleichzeitig der Boden der zum Garten gewandten Terrasse und setzt sich aus Glasbausteinen aus Weißglas zusammen, die Tageslicht in den Lichtdeckenraum durchlassen. Damit sich die Struktur der Glasbausteine nicht auf der Spannlichtfolie abzeichnen kann, sind die Glasbausteine raumseitig satiniert.
Um den Tageslichteintrag zu kontrollieren, kann ein Verminderungsbehang oder eine Verdunklung zwischen Spannlichtdecke und Glasbausteinebene gezogen werden. Da die Lichtdecke direkt an die gebogenen Wände anschließt, ist eine sehr homogene Beleuchtung der Wandflächen möglich.
Bei Betrieb der Lichtdecke mit Kunstlicht leuchtet auch die Glasbausteinfläche auf der Terrasse.
Foyers West
Die Foyers West gehören zu den Ausstellungsbereichen und werden dementsprechend punktuell mit von der Decke abgehängten LED-Strahlern bestückt (3-Phasen Stromauslässe sind in die eingehängten Decken eingelassen).
Foyers Ost
Die zwei materiell reicher ausgestalteten Foyers des 1. UG und des EG sowie das Vestibül im 1.OG werden mit Kronleuchtern bestückt, die diversifiziert und speziell auf die einzelnen Räume hin entwickelt werden.
Kunstmuseum St. Gallen
Wettbewerb
St. Gallen 2011
Architekten:
Aita Flury, Roger Boltshauser
Ingenieure:
Walt + Galmarini AG
Landschaftsarchitekten:
Müller Illien Landschaftsarchitekten GmbH
Lichtplanung:
Lichtkunstlicht
Denkmalpflege:
Giovanni Menghini
Reiche Oberflächengestaltung im originalen Foyer West